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#Filmfestspiele von Venedig: Mythos und Wahrheit vor und hinter der Kamera

„Filmfestspiele von Venedig: Mythos und Wahrheit vor und hinter der Kamera“




Die filmischen Beiträge sind zu Beginn durchwachsen. Dann aber läuft „Blonde“, in dem die Lebens- und Leidensgeschichte von Marilyn Monroe erzählt wird.

Endspurt am Lido. Der Himmel ist bewölkt. Auf den Plakatwänden entlang der Uferpromenade wirbt der italienische Filmemacher Paolo Virzì mit folgendem Statement für den Sponsor Mastercard: „Using cinema to craft a necessary lie that tells the truth“. Mit Hilfe des Kinos eine notwendige Lüge erschaffen, die die Wahrheit erzählt – darum geht es in der Filmkunst, darum soll es gehen, und es ist leichter gesagt als getan. Nach einem furiosen Beginn sorgte ein zunehmend durchwachsener Wettbewerb auf dem Lido dafür, dass Hochgefühle nach dem Kinobesuch ausblieben.

Im Wettbewerbsbeitrag des 92-jährigen Altmeisters Frederick Wiseman rekapituliert die französische Schauspielerin Nathalie Boutefeu in einem 64-minütigen Monolog als Sophia Tolstoi die toxische Beziehung zu ihrem Ehemann, dem 16-Jahre älteren Schriftsteller, mit dem sie 13 Kinder hatte. Dabei wandelt sie, Tagebucheinträge und Briefe rezitierend, durch einen mediterranen Garten, in dem Zikaden lärmen und Frösche quaken. Bereits nach zwanzig Minuten fragt man sich, was zur Hölle den Regisseur bloß dazu bewogen hat, daraus einen Film und kein Bühnenstück zu machen. Inhaltlich ist „Un couple“ (Ein Paar) hochinteressant, nur die Umsetzung erweist sich als vollkommen unfilmisch.

Eine kinematografische Beleidigung im Wettbewerb in Venedig

Ein doppelt so langes und ebenfalls zweifelhaftes Vergnügen bietet „The Son“ (Der Sohn), die Leinwandadaption des gleichnamigen Theaterstücks des französischen Dramatikers Florian Zeller, der auch selbst Regie führte. Das starbesetzte Familiendrama mit Hugh Jackman, Anthony Hopkins und Laura Dern in Rolex-Werbe-Optik rund um einen depressiven 17-Jährigen wird dem wichtigen Thema, dem Umgang mit einer psychischen Erkrankung und den Auswirkungen einer solchen auf das Umfeld, leider nicht gerecht. Was diese kinematografische Beleidigung im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig zu suchen hat, fragt man sich während der Fahrt zurück in die Stadt, und wäre da nicht die Aussicht auf ein Tiramisu bei Tonolo – es wäre zum In-die-Lagune-Springen.

Die britische Regisseurin Joanna Hogg nimmt sich in „The Eternal Daughter“ eine Mutter-Tochter-Beziehung mit Tilda Swinton in einer Doppelrolle vor. Ein formal und stilistisch sehr gelungener, stiller Arthouse-Film, aber auch das kein Löwen-Kandidat, trotz Tilda Swinton.

Der Monroe-Film „Blonde“ ist eine intensive filmische Erzählung

Es folgt die mit Spannung erwartete Weltpremiere der Netflix-Produktion „Blonde“ von Andrew Dominik, die auf dem gleichnamigen und mehrfach ausgezeichneten Roman der amerikanischen Autorin Joyce Carol Oates basiert. Zum zweiten Mal widmet sich der australische Regisseur und Drehbuchautor einem amerikanischen Mythos. Nach dem grandiosen Spätwestern „Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford“, der 2007 seine Weltpremiere auf dem Lido feierte, ist jetzt Marilyn Monroe an der Reihe.

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„Blonde“ liefert ab der ersten Sekunde eine 165-minütige tour de force durch das Leben der Norma Jeane Baker. Eine intensive filmische Erzählung, in der sich, wie in Oates’ Roman, Fakten und Fiktionen kongenial vermischen. Die Kindheit in Los Angeles ohne Vater, mit einer psychisch kranken Mutter, die Arbeit in der sexistischen Maschinerie der Traumfabrik, die Beziehung zu Charlie Chaplin Jr., Schwangerschaft, Abtreibung, Depression, Medikamentenmissbrauch, die Ehe mit Joe DiMaggio, die Ausbruchsversuche ins anspruchsvolle Schauspielfach, die Ehe mit Arthur Miller, Zusammenbruch und Selbstmord.

Das Erstaunlichste an dem Film: Er erzählt eine Wahrheit

Dominik zieht alle kinematografischen Register, um diesen Gefühlsrausch mit allen Sinnen erfahrbar zu machen. Er wechselt Bildformate und Kameraoptiken, Farbe und schwarz-weiß – das musikalische Requiem, das noch lange nachklingt, stammt von Nick Cave und Warren Ellis. In der Hauptrolle brilliert die kubanische Schauspielerin Ana de Armas als Norma Jeane, deren Perspektive wir nie verlassen, mit der wir lieben, leiden und hassen. Die Männer, ohne die Marilyn Monroe nicht erschaffen worden wäre und ohne die Norma Jeane nicht zerstört worden wäre, werden zu erbärmlichen Figuren. Am erbärmlichsten, soviel sei verraten, erscheint der amerikanische Präsident John F. Kennedy. Die Bettszene mit ihm ist übrigens für die Ab-18-Freigabe des Films verantwortlich und hat Potenzial, Filmgeschichte zu schreiben.

Durch Dominiks zeitgemäße und radikale Umsetzung dieses #meToo-Stoffes wird die Universalität und Aktualität einer Geschichte deutlich, von der viele Frauen (und natürlich auch Männer) im Showgeschäft oder in der Filmbranche ein Lied singen können. Dazu gelingt es Dominik in „Blonde“ – das ist das vielleicht Erstaunlichste an diesem Film – eine viel tiefere Wahrheit zu erzählen, jenseits von Norma Jeane und Marilyn Monroe, die Wahrheit darüber, eine Frau zu sein, denn jede Frau auf der Welt weiß, was es heißt, gegen die Vorstellung von einer Frau anzukämpfen. Denn diese wurde – das belegt ein Blick in unsere Kulturgeschichte eindeutig – von Männern entworfen. Chapeau!

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