Wissenschaft

#Wie unser Gehirn die Zeit misst

Je nachdem, wie wir unsere Zeit füllen, nehmen wir sie unterschiedlich wahr: Mal vergehen Stunden wie im Flug, mal dehnen sich Minuten gefühlt zu Stunden. Doch wenn wir uns bewusst darauf konzentrieren, können wir kleine Zeitskalen im Bereich von Sekunden bis Minuten recht genau abschätzen. Wie macht unser Gehirn das? Einen Hinweis liefert nun eine Studie an Ratten: Manipulierten die Forschende die neuronale Aktivität im Striatum, einer Region des Großhirns, verschob sich die Zeitwahrnehmung der Nager. Die Geschwindigkeit ihrer Bewegungsabläufe blieb dagegen unverändert. Die Erkenntnisse könnten auch zum Verständnis von Krankheiten wie Parkinson beitragen.

Unser Gehirn misst die Zeit auf verschiedenen Skalen. Die bekannteste unserer inneren Uhren steuert unseren tageszeitlichen Rhythmus und bestimmt darüber, wann wir müde werden, wann wir aufwachen und wie sich unser Stoffwechsel der Tageszeit anpasst. Weniger erforscht ist, wie unser Gehirn kleinere Zeitskalen von Sekunden bis Minuten abschätzt. Eine Vermutung ist, dass es sich dazu auf regelmäßige Aktivitätsmuster bestimmter Gruppen von Nervenzellen verlässt, ähnlich wie auf das Ticken einer Uhr. Doch anders als bei einer Uhr könnten solche Nervenzellen mal schneller und mal langsamer „ticken“ und so das Zeitempfinden verschieben. Bislang war es allerdings schwierig, diese Hypothese experimentell zu überprüfen.

Neuronale Wellen zur Zeitmessung

Nun hat ein Team um Tiago Monteiro von der Champalimaud Foundation in Lissabon an Ratten nachgewiesen, dass sich das Gehirn tatsächlich auf die neuronale Aktivität in einer Hirnregion namens Striatum verlässt, wenn es kleine Zeitskalen abschätzt. Die Muster dieser neuronalen Aktivität vergleicht Monteiros Kollege Joseph Paton mit einem ins Wasser fallenden Stein: „Der Stein erzeugt Wellen, die sich auf der Oberfläche in einem wiederholbaren Muster ausbreiten. Wenn man die Muster und Positionen dieser Wellen untersucht, kann man ableiten, wann und wo der Stein ins Wasser gefallen ist“, erklärt er. „So wie die Geschwindigkeit, mit der sich die Wellen bewegen, variieren kann, so kann sich auch das Tempo, mit dem diese Aktivitätsmuster in neuronalen Populationen fortschreiten, verändern.“

Um nachzuweisen, dass die Geschwindigkeit dieser neuronalen „Wellen“ tatsächlich mit zeitabhängigen Entscheidungen zusammenhängt, trainierten die Forschenden Ratten darauf, zwischen verschiedenen Zeitintervallen zu unterscheiden. Wenn die durstigen Ratten nach einem Signal eine vorgegebene Zeit warteten, erhielten sie zur Belohnung einen Tropfen Wasser. Je nach Signal mussten sie dabei abschätzen, ob eine Zeitspanne länger oder kürzer als 1,5 Sekunden war. Währenddessen maßen die Forschenden die Aktivität im Striatum der Tiere, einem Teil der Basalganglien im Großhirn, der an der motorischen Kontrolle beteiligt ist und schon früher mit zeitabhängigen Entscheidungen in Verbindung gebracht wurde.

Wenn die innere Uhr schneller oder langsamer tickt

Und tatsächlich: Wenn die Ratten ein bestimmtes Zeitintervall länger einschätzten, war eine schnellere neuronale Aktivität im Striatum zu beobachten, wenn sie es kürzer einschätzten, eine langsamere Aktivität. Als nächstes testete das Team, ob dieser Korrelation ein kausaler Wirkzusammenhang zugrunde liegt. „Dazu brauchten wir eine Möglichkeit, diese Dynamik experimentell zu manipulieren, während die Tiere Zeiteinschätzungen abgaben“, erklärt Monteiro. „Wir nutzten die Temperatur, um die Geschwindigkeit der neuronalen Dynamik zu verändern, ohne das Muster zu stören.“ Das Team implantierte den trainierten Ratten ein kleines thermoelektrisches Gerät, das das Striatum auf Knopfdruck erwärmte oder abkühlte.

Erste Messungen an den noch betäubten Ratten zeigten, dass sich die Geschwindigkeit der neuronalen Wellen tatsächlich bei Erwärmung erhöhte und bei Abkühlung verlangsamte. „Die Temperatur gab uns somit einen Schalter, mit dem wir die neuronale Aktivität zeitlich strecken oder stauchen konnten“, sagt Monteiros Kollege Filipe Rodrigues. „Diese Manipulation wendeten wir zusammen mit dem Verhaltensexperiment an.“ Das Ergebnis: „Wenn wir das Striatum kühlten, schätzten die Ratten ein Zeitintervall kürzer ein. Wenn wir es erwärmten, hielten sie es für länger.“ Die schnellere Aktivität im erwärmten Striatum wirkte demnach wie ein schneller tickender Zeiger einer Uhr, der suggeriert, es sei bereits mehr Zeit verstrichen.

Bewegungen initiieren und kontrollieren

Während sich die Zeitabschätzung der Tiere veränderte, blieb die Geschwindigkeit ihrer Bewegungen konstant. „Das brachte uns dazu, über die Natur der Verhaltenskontrolle im Allgemeinen nachzudenken“, sagt Paton. „Selbst die einfachsten Organismen stehen bei der Steuerung von Bewegungen vor zwei grundlegenden Herausforderungen. Erstens müssen sie zwischen verschiedenen möglichen Aktionen wählen – zum Beispiel, in welche Richtung sie sich bewegen wollen. Zweitens müssen sie, sobald sie sich für eine Aktion entschieden haben, in der Lage sein, diese kontinuierlich anzupassen und zu kontrollieren, um sicherzustellen, dass sie effektiv ausgeführt wird.“ Das Striatum ist den Ergebnissen zufolge nur am ersten Teil beteiligt – der Entscheidung, was und wann zu tun ist. Die laufende Bewegungskontrolle dagegen bleibt anderen Hirnstrukturen überlassen.

In einem weiteren Experiment manipulierte das Team daher die Temperatur des Kleinhirns, das ebenfalls an der Bewegungskontrolle beteiligt ist. Hier sorgten die Temperaturveränderungen dafür, dass sich auch die Bewegungsgeschwindigkeit veränderte. „Diese Arbeitsteilung zwischen den beiden Gehirnsystemen ist bei Bewegungsstörungen wie Parkinson relevant“, sagt Paton. So ist bei Parkinson die Fähigkeit beeinträchtig, Bewegungen zu initiieren, nicht jedoch, sie auszuführen. Die Ergebnisse zu unserem inneren Zeitmesser könnten auch dazu beitragen, solche Erkrankungen besser zu verstehen. In zukünftigen Studien will das Team zudem herausfinden, wie die Schaltkreise im Gehirn die Zeitmessungswellen erzeugen und wie sie uns dabei helfen, auf unsere Umwelt zu reagieren.

Quelle: Tiago Monteiro (Champalimaud Foundation, Lissabon, Portugal) et al., Nature Neuroscience, doi: 10.1038/s41593-023-01378-5

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!