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#Wir sind das Gegenteil von Netflix

„Wir sind das Gegenteil von Netflix“

Quizfrage für Filmliebhaber: Was haben „Der König von Marvin Gardens“ von Bob Rafelson, „Meine liebste Jahreszeit“ von André Techiné, „Fanny und Alexander“ von Ingmar Bergman und „Ran“ von Akira Kurosawa gemein? Richtig: Im Mittelpunkt stehen jeweils Geschwister. Die vier Werke sind Teil der monatlichen Auswahl des auf Filmklassiker – im weiteren Sinn – spezialisierten französischen Streamingdienstes La Cinetek. Für weniger als drei Euro bekommen Abonnentinnen und Abonnenten da jeweils zehn Filme zu einem gegebenen Thema geboten: „Voyeurismus“, „Bor­derline“, „Brieflich“, „Okkult“ oder, wie derzeit und noch bis zum 9. April, „Brüder und Schwestern“. Die Bandbreite ist groß, wie bereits die vier oben genannten Werke zeigen, die den Genres Drama, Dramödie, Familiensaga und Jidai-geki (japanischer Historienfilm) zugeordnet werden können.

Spannend wird die Sache dadurch, dass alle derzeit tausendneunhundert Titel des Katalogs von La Cinetek durch mindestens einen der derzeit hundertzwei Regisseure ausgewählt wurden, die das Programmangebot mitbestimmen.

Man taucht nach erlesenen Perlen

Die Spielregeln sind einfach: Jeder réalisateur associé verpflichtet sich bei der Aufnahme in den Kreis, die Liste seiner fünfzig Lieblingsfilme einzureichen; eigene Werke sowie solche aus der Zeit nach 2005 sind ausgeschlossen. Der Zirkel besteht zur Hälfte aus Franzosen, von Jacques Audiard bis Agnès Varda, zur Hälfte aus Ausländern, von Dario Argento über die Brüder Dardenne, William Friedkin, Hirokazu Kore-eda, Martin Scorsese und Apichatpong Weerasethakul bis John Woo (unter ihnen auch acht Deutsche und Österreicher). Bereinigt um Mehrfachnennungen, ergibt sich so eine „ideale“ Liste von derzeit rund dreitausend Titeln. Diese sind alle auf der Website der Plattform aufgeführt, aus rechtlichen Gründen aber (noch) nicht alle zum Visionieren erhältlich. Man kann Stunden damit verbringen, auf die Namen der beteiligten Regisseure zu klicken, um zu sehen, welche Werke sie jeweils als Lieblingsfilme anführen. Audiard etwa nennt Titel, die selbst viele Berufskollegen nicht kannten.

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Filmliebhaber machten für ihr Leben gern (Rang-)Listen, befand Pascale Ferran, aus eigener Erfahrung sprechend. Die französische Regisseurin ist Mitgründerin von La Cinetek, neben ihren Kollegen Laurent Cantet und Cédric Klapisch sowie dem Produzenten Alain Rocca. Beim Plausch nach einer Berufsversammlung hatten die vier eines Tages das fehlende Angebot von Klassikern als Abrufvideos beklagt. So entstand das Konzept von La Cinetek, die Ende 2015 mit einer Starthilfe des Centre national du cinéma (CNC) und der Region Île-de-France lanciert wurde. Das CNC unterstützt die Plattform bis heute, seit 2017 durch das EU-Filmförderungsprogramm MEDIA sekundiert. Denn seit 2019 ist die Plattform auch in Deutschland und Österreich vertreten, seit 2020 zudem in Belgien und Luxemburg.

Der Katalog dort ist indes wesentlich kleiner, siebenhundert Filme für erstere Zone, tausend für letztere. Jean-Baptiste Viaud, der Generalbeauftragte von La Cinetek, begründet das im Gespräch mit dem Aufwand, den der Erwerb der Rechte verlangt. „In Frankreich arbeiten wir mit über hundert Rechtsnachfolgern und Verleihern zusammen. Mit großen Unternehmen wie Gaumont, Pathé und Studiocanal ist das relativ einfach, weil zum einen ihr Katalog sehr genau erfasst ist und zum andern nach dem ersten Vertrag jede Neuakquisition bloß einen Nachtrag erheischt. Aber manchmal kommt es vor, dass ich wegen eines einzigen seltenen Films mit einem neuen Verleiher eine ganze Verhandlung führen muss. Und im Ausland gilt es, wegen des Territorialitätsprinzips auch für Titel, die wir bereits im französischen Katalog führen, neue Verträge auszuhandeln. Da ich in unserer zehnköpfigen Equipe allein mit dieser Aufgabe betraut bin, stoße ich hier ein wenig an meine Grenzen. Vor allem jedoch ist es, was Deutschland und Österreich angeht, oft schwierig, Synchronisierungen oder Untertitel zu finden. Arte, das zu den vierzehn Mitgliedern des Trägervereins von La Cinetek zählt, kann uns hier viel helfen.“

Die Konsolidierung der Niederlassungen in den vier genannten Ländern zählt denn – vor der Erschließung neuer Territorien – zu den Prioritäten der Plattform. Namentlich soll in Deutschland und Österreich das (dort ungleich dem Verleih oder Verkauf einzelner Titel noch nicht angebotene) Monatsabonnement eingeführt werden. Dieses zählt in Frankreich, Belgien und Luxemburg derzeit 19.000 Subskribenten und hat seit seiner Einführung im September 2018 das Publikum stark verjüngt. Die Hälfte der Nutzer ist heute unter fünfunddreißig, ein Viertel unter fünfundzwanzig. Dennoch führt Viaud schon mit Filmmuseen und Kinematheken in Belgien, den Niederlanden, Polen, Portugal und der Slowakei Gespräche, um die Rubrik „Trésors cachés“ mit ihren über hundert „verborgenen Schätzen“ zwischen einer und zweihundertneunundneunzig Minuten Spielzeit zu bereichern. Die Deutsche Kinemathek in Berlin gehört wie jene in Paris und Toulouse bereits zu den Mitgliedern des Trägervereins der Plattform.

Doch bei aller Veränderung will La Cinetek an seinen zwei Kerncharakteristiken festhalten, die es von Konkurrenten wie dem britischen Streamingdienst Mubi unterscheiden: dem „patrimonialen“ Charakter seines Katalogs und dem Begleitprogramm, das der Vermittlung des Filmerbes dient. Neben einem virtuellen Filmklub – in der jüngsten Ausgabe spricht Régis Sauder über „Chronique d’un été“ von Jean Rouch und Edgar Morin – glänzt die Plattform so mit Élodie Tamayos funkelnden Texten zu den monatlichen Abonnementprogrammen. Kurz: La Cinetek schrammt nicht mit dem Schleppnetz über den Boden des Filmozeans, sondern taucht Stück um Stück nach den erlesensten Perlen. „Jeder Film im Katalog wurde nicht durch einen Algorithmus ausgewählt, sondern durch einen Regisseur“, stellt Viaud klar – „durch Bertrand Bonello zum Beispiel, Aki Kaurismäki oder Kiyoshi Kurosawa. Damit sind wir das genaue Gegenteil von Netflix.“

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