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#Wirkung war ihm wichtig, nicht Wirklichkeit

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Wirkung war ihm wichtig, nicht Wirklichkeit

Max Klinger wird erstaunt gewesen sein, als er von einem Mann angeschrieben wurde, den er gerade erst porträtiert hatte, der aber schon vor mehr als 2200 Jahren gestorben war. Alexander der Große persönlich protestierte in einem Brief vom 12. Juli 1909 bei dem Leipziger Maler: „Wer beim Zeus hat Dir das Märchen aufgebunden, dass ich ein Knirps war?“ Auch beklagte sich der König von Makedonien beim „König der Bildner in Germanien“, dass weder seine Hautfarbe und Haltung noch sein Blick oder Helm auf dem Bild den Tatsachen entsprächen, und Beinschienen habe er auch nie getragen. Klinger möge die Einwände freundlich aufnehmen und berücksichtigen. Mit anderen Worten: Alexander wünschte eine Überarbeitung seiner Darstellung auf Klingers jüngstem Gemälde. Das war zwar noch nicht enthüllt, aber derjenige, der sich da für Alexander ausgab, kannte es bereits. Kein Wunder: Der Archäologe Franz Studnicz­ka gehörte der Kunstkommission der Universität Leipzig an, und die hatte über ein gigantisches Wandbild von Klinger zu befinden, das die Aula der Hochschule schmücken sollte.

Es war mehr als zwanzig Meter breit und sechs Meter hoch und damit das größte Werk, das Klinger je geschaffen hat, was bei diesem Künstler etwas heißen will. Er hatte bereits zwölf Jahre zuvor auf fünfzig Quadratmetern Christus in den Olymp einziehen lassen, und seine Beethoven-Skulptur von 1902 war mehr als drei Meter hoch und wog fast fünf Tonnen. Aber im Hauptgebäude der Universität seiner Heimatstadt Leipzig galt es, zum fünfhundertjährigen Gründungsjubiläum eine eigens dafür freigelassene Wandfläche in der Aula zu füllen, und da das Bild ein Geschenk der sächsischen Regierung zum freudigen Anlass sein würde, konnte man sich sogar den Malerstar Klinger leisten – für 50 000 Mark. Da der allerdings als unberechenbarer Moderner galt, hatte die Kunstkommission ein scharfes Auge auf seine Pläne. Und Klinger, der den Auftrag schon 1896 erhalten hatte, tat sich schwer mit der Themenwahl. Erst 1906 legte er sich fest: „Die Blüte Griechenlands“ sollte das Bild zeigen. Griechenland ging in der akademischen Welt jener Zeit immer.

Ecce femina

Im Dezember 1943 verbrannte das Bild in der schlimmsten Bombennacht, die Leipzig erlebte. Doch zur Enthüllung im Dezember 1909 war eine Festbroschüre mit aufwendiger Farbreproduktion erschienen, sodass man sich heute eine genaue Vorstellung davon machen kann, wie das Werk ausgesehen hat. Und es gibt erhaltene Entwurfszeichnungen, Studienblätter und Kartonfragmente, die nun in einer Ausstellung der Kustodie der Universität Leipzig zum verlorenen Aulawandbild zu sehen sind, zusammen mit vielen Zeugnissen zur Entstehungsgeschichte. Die Schau ist mit knapp fünfzig Objekten eher klein, aber sehr gut recherchiert, und sie reiht sich ein ins neu erwachte Interesse an zerstörten Repräsentationswandbildern der Jahrhundertwende, wie es erst jüngst die Untersuchungen zu Gustav Klimts Wiener Fakultätsbildern und zu Ernst Ludwig Kirchners Lebensfries in Königstein dokumentiert haben.

Max Klingers Wandbild „Die Blüte Griechenlands“ in der Aula der Universität Leipzig um 1925.


Max Klingers Wandbild „Die Blüte Griechenlands“ in der Aula der Universität Leipzig um 1925.
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Bild: Universität Leipzig

Das Wandbild zeigte vor arkadischer Kulisse in der linken Hälfte einen exaltierten Homer vor einer andächtigen Zuhörerschar samt Liebesgöttin Aphrodite und rechts die Philosophen Platon und Aristoteles im Gespräch – Raffaels „Schule von Athen“ ließ grüßen. Allerdings war bei Klinger alles symbolistisch statt allegorisch, bis hin zu einer im Schatten eines Baumes stehenden Frau genau in der Mitte des Bildes, die nach dem Vorbild seiner Geliebten, der Schriftstellerin Elsa Asenijeff, gestaltet war und sich als einzige Figur im Bild den Betrachtern zuwendet. Ecce femina.

Und rechts vom Rand her stürmt Alexander der Große heran, nur eben verglichen mit Platon und seinem Lehrer Aristoteles körperlich eher klein, aber Klinger pfiff eh auf einheitliche Perspektive oder Proportionen. Wirkung war ihm wichtig, nicht Wirklichkeit. Studniczka mochte sich indes damit nicht abfinden, obwohl er zu den Befürwortern von Klingers Bild gehörte. Deshalb schrieb er seinen ironischen Brief, nachdem das Riesenwerk ein halbes Jahr vor der feierlichen Enthüllung aufgehängt worden war. Aber Klinger dachte gar nicht daran, sich jetzt noch hineinreden zu lassen. „Es hat nichts genützt“, resignierte Studnicz­ka eine Woche später. „Wie schön war das, was an derselben Stelle der Originalentwurf gab.“

Das Kartonfragment zu den Homer Lauschenden im Wandbild „Hellas“ zeigt eine junge Frau und den Künstler Otto Greiner.


Das Kartonfragment zu den Homer Lauschenden im Wandbild „Hellas“ zeigt eine junge Frau und den Künstler Otto Greiner.
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Bild: picture alliance / akg-images

Der Entwurf ist in der Schau zu sehen. Er zeigt statt Alexander zwei Musen in aufreizend drapierten Gewändern. Ein Schelm, der Schlichtes dabei denkt. Immerhin war Studniczka nicht dadurch korrumpiert worden, dass manche in Klingers finaler Darstellung des Platon seine Züge erkennen wollten. Die Ausstellung weist indes nach, wie akribisch Klinger seine Figuren nach antiken Quellen schuf. Auch im Falle Alexanders, bei dem er lieber den schriftlichen Überlieferungen glaubte als den idealisierenden Bildnissen des Herrschers. Oder einem deutschen Archäologen mehr als 2200 Jahre post festum.

Max Klinger und die Universität Leipzig. Das verlorene Aulawandbild im Kontext. In der Galerie des Neuen Augusteums, Leipzig; bis zum 22. Januar 2022. Der ausführliche Katalog, erschienen bei Passagen, kostet 17,50 Euro.

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