#Wo Hipster selig werden

Zum Abschluss des Sonntagsgottesdienstes hält Vater Andrej wie immer eine Predigt. Heute spricht der charismatische Priester der Moskauer Antipas-Kirche vom prinzipiellen Elend des menschlichen Daseins, in dem nur manchmal Liebe oder Schönheit eine Ahnung von einer besseren Welt vermittelten und hoffen ließen. Unser Leben sei stetiger Niedergang, erklärt der 45 Jahre alte Geistliche, um den sich seine Ge­meinde, darunter viele jüngere Leute und Familien mit Kindern, drängt. Niemand trägt Maske oder hält den Sicherheitsabstand ein, was die Kirchenleitung eigentlich dringend empfiehlt.

Das russisch-orthodoxe Christentum, das am heutigen Freitag das Weihnachtsfest feiert, ist sehr körperlich, die Liturgie muss man buchstäblich durchstehen. Der Priester hält den Gläubigen ein Kruzifix entgegen, während seine Rede, die eine junge Frau mit ihrem Handy aufzeichnet, im Accelerando fließt: Das Gute gehe zugrunde, wir würden abstumpfen, Fitnesstraining und die Bulimie von Sinneseindrücken hülfen nicht, sondern seien nur Symptom für den Niedergang. Vor allem lieben wir zu wenig, so der Gottesmann, ohne Liebe gesprochene Worte seien aber wie Tabak ohne Tabak oder Kaffee ohne Kaffee, paraphrasiert er den ersten Korintherbrief des Apostels Paulus.