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#Wo verteidigt Deutschland seine Freiheit?

„Wo verteidigt Deutschland seine Freiheit?“

Eine Stadt wartet auf ihren Schicksalsschlag. Schwedt liegt ganz im Osten Deutschlands an der polnischen Grenze. Die Geschicke der Stadt sind eng verbunden mit der dort ansässigen Öl-Raffinerie, die schon seit Jahrzehnten durch eine Pipeline mit dem vielversprechenden Namen „Freundschaft“ aus Russland mit Öl versorgt wird. Zum Jahres­ende, so hat es die Bundesregierung beschlossen, will Deutschland kein Öl mehr von Putin beziehen. Die Entscheidung trifft Schwedt wie keine andere Stadt des Landes: Zwölf Millionen Tonnen russischen Rohöls werden jährlich im Schwedter PCK-Werk verarbeitet. 1200 Mitarbeiter hängen direkt an Putins Tropf, Tausende weitere sind als Zulieferer mit der Raffinerie verbunden. Rechnet man Familienmitglieder hinzu, dann geht es nach Einschätzung der Stadt um die Existenzen von bis zu 10.000 Menschen.

Die Landespolitik weist die Verantwortung von sich. Verschuldet habe das die Bundesregierung, also müsse sie auch dafür geradestehen. Im Wirtschaftsministerium ist eine Taskforce eingerichtet, aber Vielversprechendes hört man von ihr nicht. Als Minister Habeck bei einer Protestveranstaltung Ende Juni in Schwedt sprach, wurde er ausgepfiffen. Am lautesten brüllten die Bürger, als er voraussagte, dass Putin sich bald „von dem Geld, das wir ihm geben, immer weniger kaufen kann“. Solche halbstarken Sätze wollte man in Schwedt nicht glauben oder nicht hören.

Scheint niemanden zu interessieren

Bürgermeisterin der Stadt ist die Sozialdemokratin Annekathrin Hoppe. Wenn man mit ihr telefoniert, ist die Verzweiflung in ihrer Stimme nicht zu überhören. Vier Monate sind es noch bis zur geplanten Abstellung der Pipeline und noch immer ist nicht klar, was mit ihrer Stadt werden soll. Es gibt vage Pläne, den Ölzufluss über den Rostocker Hafen zu kompensieren, aber die in Aussicht gestellte Menge würde offenbar nicht ausreichen, um die Produktion am Laufen zu halten. Für Hoppe bleibt als einzige Hoffnung, dass die Verantwortlichen in Berlin ihre Entscheidung noch einmal überdenken.

In ihrer Stadt spitze sich die Situation zu, sagt die Bürgermeisterin, die Menschen bangten um ihre Arbeitsplätze und fürchteten sich vor ihren Energieabrechnungen: „Und trotzdem scheint es in der Bundespolitik keinen zu interessieren, ob es eine Lösung für Schwedt gibt.“ Die von der großen Politik im Stich gelassene Kommunalpolitikerin – das ist natürlich ein Topos der strategisch verschobenen Verantwortungsethik. Und doch könnte im Moment tatsächlich der ungute Eindruck entstehen, dass man sich in den Berliner Hinterzimmern insgeheim darauf ge­einigt hätte, die Stadt als „Bauernopfer“ preiszugeben. „Ich glaube nicht, dass die Menschen ruhig bleiben hier in Schwedt“ – das sagt die Bürgermeisterin noch und entschuldigt sich hastig für ihre „dramatische“ Ausdrucksweise.

Dialogfähig: Robert Habeck im Gespräch mit PCK-Angestellten


Dialogfähig: Robert Habeck im Gespräch mit PCK-Angestellten
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Bild: dpa

Der Fachmann für dieses Gewerbe hat da weniger Hemmungen. André Nicke, Intendant des Schwedter Theaters, ist gebürtiger Sachse und bestimmt die Debatte in seiner Stadt lautstark mit. Er veranstaltet wöchentliche Dialogformate, hat aber auch für „ein Druckablassen auf der Straße“ Verständnis. Mit Rekurs auf Heiner Müller argumentiert er, dass alle Befürchtungen, die Menschen aussprechen, ernst genommen werden müssten. Und wenn die Furcht sich in dem Verdacht äußert, dass der Angriffskrieg für die Durchsetzung einer „grünen Ideologie“ ge­nutzt werde? Dann findet Nicke zumindest den Gedanken naheliegend, „dass man bestimmte historische Situationen auch zur Durchsetzung der eigenen Politik nutzt, um nicht zu sagen: ausnutzt“.

Ungewohnte Worte von einem Theater­intendanten. Aber in Schwedt hat man im Moment keine Zeit für eine achtsame Sprache. „Wir fühlen uns hier, als sollten wir uns freiwillig den Hals umdrehen lassen“, ruft Nicke ins Telefon und fügt im Überschwang des Resistance-Gefühls noch hinzu: „Die Freiheit Deutschlands wird nicht nur in der Ukraine, sie wird auch im Inneren verteidigt.“

Schwedt – das ist nicht nur eine soziale Frage. Der Fall ist auch einer der politischen Kultur. Im Grunde geht es darum, ob die Politik die Folgen ihres Handelns überschaut. Ob sie offensiv Verantwortung übernimmt für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen. Oder ob sie stillschweigend in Kauf nimmt, dass der strukturschwache Osten Deutschlands einmal mehr zum Pulverfass wird.

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