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#Wohnungsbautag: Die Krise ist noch nicht vorbei

42 Prozent mehr in vier Jahren: Die Baubranche ächzt unter den hohen Kosten. Die zuständigen Minister versprechen Hilfe – aber mit Einschränkungen.

Geht es wieder aufwärts oder ist die Lage weiter schlecht? Seit einigen Wochen sind Kabinettsmitglieder auffällig bemüht, erstere Erzählung zu verbreiten. Geht es nach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), sind die wirtschaftlichen Aussichten besser als die Stimmung. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verweist stolz auf die gesunkenen Strompreise. Und auch Bauministerin Klara Geywitz (SPD) sieht Licht am Ende des Wohnungsbautunnels. Wirtschaftsverbände teilen den von der Ampelkoalition verbreiteten Optimismus dagegen nicht. Dieses Phänomen war auch am Donnerstag auf dem Wohnungsbautag in Berlin zu beobachten.

„Wir sehen dieses Licht am Horizont nicht“, sagte Axel Gedaschko, Präsident des Gesamtverbands der deutschen Wohnungswirtschaft (GdW), auf der Veranstaltung, auf der jedes Jahr die zuständigen Minister auf Wohnungsverbände, Mieterbund und Baugewerkschaft treffen. Sein Kollege Dirk Salewski vom Bundesverband Freier Wohnungsunternehmen (BFW) berichtete von brachliegenden Kränen und Handwerkern, die plötzlich wieder sehr Zeit hätten. Die Folgen des aktuellen „Nicht-Bauens“ würden sich erst in zwei Jahren zeigen, wenn die Fertigstellungen fehlten, warnte er.

Eine auf dem Wohnungsbautag veröffentlichte Studie der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge) zeigt unter anderem, wie stark die Einwohnerzahl in Deutschland gestiegen ist, während der Wohnungsbau rückläufig ist. Die Folge: „Im Jahr 2023 lebten in Deutschland 9,3 Millionen Menschen in überbelegten Wohnungen.“ Das seien 11 Prozent der Einwohner. „Der Großteil der Wohnungsmärkte in Deutschland ist gekennzeichnet durch Knappheit oder Überlastung“, sagte Studienautor Dietmar Walberg. Durch den wachsenden Anteil von Senioren – und damit von Ein- oder Zwei-Personen-Haushalten – werde der Wohnungsbedarf noch größer.

2023 Genehmigungen für 260.100 Wohnungen

Die Fertigstellungszahlen für 2023 veröffentlicht das Statistische Bundesamt erst im Mai. Genehmigungen wurden 2023 für 260.100 Wohnungen erteilt – weit weniger als das von der Ampelkoalition einst genannte Ziel von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr und noch weniger als die von Geywitz später genannten 500.000 bis 600.000, die wegen der ukrainische Flüchtlinge nötig seien. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Analysehauses Empirica, wonach auch 170.000 Wohnungen reichten – es werde aktuell noch zu viel in Orten gebaut, wo es gar keine Wohnungsknappheit gebe –, wird in der Bundesregierung kritisch gesehen. „Wenn jemand in Frankfurt am Main eine Wohnung sucht, ist ihm nicht damit geholfen wenn ich sage: In Frankfurt an der Oder steht eine schöne Wohnung frei“, sagte Geywitz am Donnerstag.

Interessant ist auch der Studienteil zu den Baukosten. Um 42,6 Prozent sind sie im Vergleich zum ersten Quartal 2020 gestiegen, von 3028 auf 4317 Euro je Quadratmeter Wohnfläche in einer Großstadt. Die in der Rechnung noch nicht enthaltenen Kosten für das Grundstück stiegen „nur“ um 13 Prozent auf 823 Euro. Kostentreiber sind vor allem die technischen Gewerke wie Heizung und Lüftung. Die Studie stellt fest: „Weder die individuellen noch die gesellschaftlichen Funktionalitätserwartungen an den Wohnungsbau (…) sind in der Realität leistbar und technisch und ökonomisch umsetzbar.“

Sanierung für Klimaschutz im Fokus

Die Arge ist nicht irgendein Bauinstitut, sondern eng mit dem Land Schleswig-Holstein verbunden und auch auf Bundesebene respektiert. Institutschef Dietmar Walberg sieht indes die wachsenden Auflagen der Politik an Neubauten schon seit langem kritisch. „Der Neubau hat auf das Erreichen der Klimaziele 2045 überhaupt keine Auswirkungen“, sagte er. Entscheidend sei, dass rund 23 Millionen Bestandswohnungen saniert würden. Wolfgang Schubert-Raab, Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB), äußerte sich ähnlich. Er verglich den aktuell gesetzlich vorgeschriebenen Neubaustandard Effizienzhaus 55 mit dem Effizienzhaus 40, den man bauen muss, um staatliche Förderung zu bekommen. Die Baukosten für den strengeren 40er-Standard lägen 5 bis 8 Prozent höher. Die Energieeinsparung betrage aber nur 210 bis 220 Kilowattstunden in einer 70-Quadratmeter-Wohnung im Jahr. Auch beim Schallschutz wird laut Schubert-Raab über das Ziel hinausgeschossen. Für den gesetzlichen Mindestschallschutz brauche man eine Deckenstärke von 18 Zentimetern. Beim erhöhten Schallschutz seien es 22 Zentimeter. Mehr Stahl koste aber auch mehr.

Die Bauministerin sieht das Problem. „Da steht jedes Mal ein Mercedes, wenn wir ein Haus bauen“, sagte sie. Geywitz verwies auf den Gebäudetyp E, ein Vorschlag der bayerischen Architektenkammer, dessen Umsetzung Bund und Länder vorantreiben wollen. Das „E“ steht für Einfach oder Experimentell. Grundgedanke ist, auf nicht sicherheitsrelevante Standards zu verzichten. Dazu bedürfe es aber noch gesetzlicher Änderungen, sagte Geywitz. Sie sprach sich auch dafür aus, den Ausbau von Dachgeschossen genehmigungsfrei zu stellen.

Das Verbändebündnis wünscht sich jährlich Subventionen von 15 Milliarden Euro für 100.000 neue Sozialwohnungen und weitere 8 Milliarden Euro für den Neubau von 60.000 bezahlbaren Wohnungen. Rückendeckung holte es sich durch eine Studie des Instituts DIW Econ, wonach die Branche volkswirtschaftlich fast so bedeutend sei wie die Autoindustrie. Geywitz machte ihnen diesbezüglich wenig Hoffnung: „Mit einer Dauersubvention wird es nicht gehen.“ Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warb dafür, als Erstes schon fertig geplante, aber wegen der gestiegenen Zinsen noch nicht realisierte Bauprojekte anzugehen. Er stellte dafür mehr staatliche Unterstützung in Aussicht. Bauherren müssten dann aber auch aus der „absoluten Komfortzone der Finanzierung“ herauskommen.

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