Wissenschaft

#Y-Chromosom: Verlust beeinflusst Krebstumore

Das Y-Chromosom der Männer ist nicht nur für die Fortpflanzung wichtig: Es mehren sich die Hinweise darauf, dass dieses genetisch verarmte, kleine Geschlechtschromosom auch eine wichtige Rolle für die Gesundheit spielt. Dies gilt auch für Krebstumore, wie nun eine Studie belegt. Die Forscher haben darin untersucht, welche Folgen es hat, wenn in Krebszellen die Y-Chromosomen verloren gehen, wie beispielsweise beim Blasenkrebs in 10 bis 40 Prozent der Tumore der Fall. Es zeigte sich, dass solche Y-negativen Tumore bei Mäusen doppelt so schnell wuchsen wie Tumore mit intaktem Y-Chromosomenbestand. Ursache dafür ist offenbar eine vorzeitige Erschöpfung und Hemmung von T-Zellen des Immunsystems, die die Krebszellen daraufhin nicht mehr effektiv bekämpfen können. Hoffnung macht hingegen, dass diese Y-armen Krebstumore besonders sensibel auf eine Immuntherapie reagieren.

Während das biologisch weibliche Geschlecht durch zwei X-Chromosomen gekennzeichnet ist, haben Männer statt des zweiten X-Chromosoms ein Y-Chromosom. Dieses hat im Laufe der Evolution allerdings fast 90 Prozent seiner ursprünglichen Genmenge verloren und ist dadurch nur noch ein Drittel so groß wie sein weibliches Gegenstück. Die wenigen noch auf dem Y-Chromosom erhaltenen Gene regeln vor allem die Spermienproduktion und Geschlechtsentwicklung, der Rest wird von stark variablen Genabschnitten mit größtenteils unbekannter Funktion aufgefüllt. Daraus zogen einige Wissenschaftler sogar den Schluss, dass das Y-Chromosom nicht essenziell ist und eines Tages sogar ganz verschwinden könnte. Auf den ersten Blick wird dies durch eine chromosomale Alterserscheinung bei vielen Männern gestützt: Bei rund 40 Prozent aller 70-jährigen Männer hat ein Teil der Blut- und Körperzellen sein Y-Chromosom verloren – augenscheinlich ohne schwerwiegende Folgen. Doch 2022 stellte sich heraus, dass Männer mit einem erhöhten „Loss of the Y Chromosome“ (LOY) ein größeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Alzheimer und andere altersbedingten Leiden haben.

Krebstumore ohne Y-Chromosom

Ein Team um Hany Abdel-Hafiz vom Cedars–Sinai Medical Center in Los Angeles hat nun untersucht, welche Folgen der Verlust des Y-Chromosoms für Krebs hat. „Ein solcher Verlust wurde bereits in mehreren Krebsarten beobachtet, darunter auch bei 10 bis 40 Prozent der Blasenkrebsfälle“, erklären die Wissenschaftler. „Die klinische und biologische Bedeutung dieses Phänomens ist jedoch unbekannt.“ Um mehr darüber herauszufinden, entwickelten sie zunächst ein Verfahren, mit dem sie den Grad des Y-Chromosomenverlusts in Gewebeproben von mehr als 1100 männlichen Blasenkrebspatienten ermitteln konnten. Dafür glichen sie die an der RNA erkennbare Aktivität von 18 Genen des Y-Chromosoms mit Referenzwerten gesunder, intakter Zellen ab. Dann untersuchten sie, ob und wie sich der Verlauf der Krebserkrankung und das Überleben bei Patienten mit vergleichbaren Therapien und Krebsstadien mit und ohne Y-Chromosomenverlust unterschied.

Die Auswertung ergab, dass Patienten mit niedrigem Y-Gehalt in ihrem Blasentumor eine geringere Überlebenschance und eine schlechtere Prognose entwickelten. Ergänzende Analysen auf Basis von genetischen Daten zeigten ähnliches für zwölf weitere Krebsarten. Um herauszufinden, welche biologischen Mechanismen dahinterstehen, führten Abdel-Hafiz und sein Team Versuche mit Mäusen durch. Dafür züchteten sie zunächst Blasenkrebs-Zelllinien und entfernten bei einem Teil der Krebszellen die Y-Chromosomen mithilfe der Genschere Crispr/Cas. Diese Y-positiven und Y-negativen Krebszellen injizierten sie anschließend Mäusen, um das Wachstum der Tumore beobachten zu können. Das Ergebnis: „Wir stellten fest, dass die Y-negativen Tumore eine rund zweifach höhere Wachstumsrate aufwiesen als die Y-positiven Tumore“, berichten die Forscher. Als sie dieses Experiment jedoch mit Mäusen ohne funktionierendes Immunsystem wiederholten, gab es diese Unterschiede nicht: Krebstumore mit und ohne Y-Chromosom wuchsen gleich schnell. „Die Tatsache, dass wir die unterschiedliche Wachstumsrate nur dann gesehen haben, wenn das Immunsystem mit im Spiel war, war ein wichtiger Schlüssel“, erklärt Seniorautor Dan Theodorescu vom Cedars–Sinai Medical Center.

Beeinträchtigte T-Zellen

Nähere Analysen enthüllten, dass das rasantere Wachstum der Tumore ohne Y-Chromosom eng mit ihrer Wirkung auf die T-Zellen des Immunsystems verknüpft ist. Normalerweise verfügen diese Zellen über die Fähigkeit, krankhaft veränderte Zellen zu erkennen und gezielt anzugreifen. Doch in den Y-negativen Tumoren der Mäuse waren zwar reichlich T-Zellen vorhanden, ein Großteil von ihnen war jedoch inaktiv und nicht imstande, die Krebszellen abzutöten. „Unsere Daten stützen die Annahme, dass der Verlust der Y-Chromosomen die Mikroumgebung des Tumors verändert und die CD8+-T-Zellen vorzeitig erschöpft“, berichtet das Team. „Dies ist das erste Mal, dass eine solche Verbindung zwischen dem Verlust des Y-Chromosoms und der Reaktion des Immunsystems auf Krebs nachgewiesen wurde.“ Die Forschenden vermuten, dass sich der Verlust des Y-Chromosoms bei den Krebszellen als Anpassung entwickelt hat. Die Beseitigung des Chromosoms erleichtert es ihnen, den Angriffen des Immunsystems zu entgehen. Auf welchem Wege und warum die Krebszellen die T-Zellen beeinträchtigen, ist allerdings noch nicht geklärt.

Die neuen Erkenntnisse bergen jedoch auch Hoffnung für Betroffene, denn in einem weiteren Experiment zeigte sich, dass die Y-negativen Krebszellen zwar die T-Zellen außer Gefecht setzen können – dieser Effekt lässt sich aber durch eine bereits gegen einige Krebsarten erprobte Immuntherapie rückgängig machen. Dabei werden spezielle Antikörper verabreicht, die an hemmenden Rezeptoren auf der Oberfläche der T-Zellen andocken. Dadurch lösen diese sogenannten Checkpoint-Inhibitoren gewissermaßen die Bremse der Immunzellen und machen sie wieder aktiv. In der Studie schlug diese Therapie bei Mäusen mit Y-negativen Tumoren deutlich besser an als bei Mäusen mit intakten Y-Chromosomen in ihren Krebszellen. Ähnliches konnten die Wissenschaftler auch bei Blasenkrebs-Patienten feststellen, die im Rahmen einer klinischen Studie mit Checkpoint-Inhibitoren behandelt worden waren. Ihrer Ansicht nach eröffnet dies neue Perspektiven für die gezielte Bekämpfung aggressiver, schellwachsender Krebstumore.

Quelle: Hany Abdel-Hafiz (Cedars-Sinai Medical Center, Los Angeles) et al., doi: 10.1038/s41586-023-06234-x

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