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#Youtube schaltet mich aus

Youtube schaltet mich aus

Was haben die Tübinger Taubentürme und die Social-Media-Plattform Youtube gemeinsam? Sie arbeiten mit einer vergleichbar sinistren Strategie. Man könnte diese als Reproduktionsillusion bezeichnen. Wie viele historische Städte wird Tübingen von den Stadttauben geplagt. Doch Erjagen kommt nicht in Frage. Selbst die Ansiedlung von Raubvögeln wurde von aufgebrachten Taubenfreunden als „inhuman“ bezeichnet. Deshalb bedient man sich eines Tricks. In besagten Türmen werden die Eier brütender Tauben durch Plastikimitate ersetzt. Die Vögel glauben sich fortzupflanzen. In Wirklichkeit wird ihre Population auf die sanfte Art um die Ecke gebracht.

Wie der Autor dieser Zeilen vor ein paar Tagen erfahren durfte, verwendet die Plattform Youtube ein vergleichbares Kalkül. Kommentare unter Videos, die aus irgendwelchen, nur dem Unternehmen bekannten Gründen auf den Index kommen, werden nicht weiterverbreitet. Aber das geschieht auf spitzfindige Weise.

Versteckte Zensur nach dem Plastikei-Prinzip?

So wie der Taube das Gefühl gegeben wird, auf einem echten Ei zu sitzen, so ist bei Youtube der Kommentar auf dem eigenem Computer zu sehen. Aber eben nur auf diesem! Für alle anderen ist er unsichtbar. Der Autor selbst wittert also keine Zensur, obwohl genau das geschehen ist. Diese taktische Finesse nennt sich Shadow Banning. Wenn man das Prinzip einmal verstanden hat, kann man damit spielen. Man meldet sich auf seinem Computer ab: Abrakadabra ­ – der eigene Kommentar ist verschwunden. Meldet man sich erneut an, ploppt er wieder auf.

Versetzt man sich in die Rolle des Plattformbetreibers, dann ist klar, dass es irgendeine Methode geben muss, die im Netz verbreitete Hasssprache von seriösen Argumenten zu trennen. Dass dies händisch gemacht wird, ist unwahrscheinlich. Sehr wahrscheinlich werden die vielen Kommentare von einem Algorithmus durchforstet. Was war mein „Vergehen“?

Der Algorithmus und das Gedankenexperiment

Mein Interesse galt Sarah Lee Heinrich, die sich momentan um Kopf und Kragen redet. Dabei sind noch nicht einmal ihren pubertären Tweets gemeint. Einer lautete: „Ich werde dich finden, und anspucken, dann aufhängen mit einem Messer anstupsen und bluten lassen.“ Das sind unausgegorene Gewaltfantasien einer damals Vierzehnjährigen. Ernst zu nehmender ist die irritierende Ambivalenz der mittlerweile zwanzig Jahre alten jungen Frau, die vorgibt, sich mit Herzblut gegen den Rassismus zu stemmen. Leider bedient sie selbst Klischees, die mit rassistischem Gedankengut zündeln. Damit wären wir bei der, wie sie es ausdrückt, „ekligen weißen Mehrheitsgesellschaft“. Die ist ihrer Meinung nach dafür verantwortlich ist, dass Fridays for Future eher von langweiligen weißen Greta-Thunberg-artigen Mädchen geprägt wird anstatt von den lässigen People of Color. Da wäre als Erstes die Frage zu stellen, was die People of Color daran hindert, sich bei Fridays for Future zu engagieren. Gar nichts.

Wie abwertend der Begriff „eklige weiße Mehrheitsgesellschaft“ ist, wird nun offensichtlich, wenn man ein Gedankenexperiment macht: Man stelle sich ein weißes Mädchen vor, das in einem schwarzafrikanischen Land aufwächst. Es geht dort zu Schule, macht Abitur und beginnt ein Studium. Da dessen Mutter wenig verdiente, wurde die Familie durch Sozialhilfe unterstützt. Wie klänge es, wenn die junge Dame die mehrheitlich schwarzen „Bürgis“ als „eklige schwarze Mehrheitsgesellschaft“ bezeichnen würde?

Genau dieses Gedankenexperiment war dem Algorithmus von Youtube nicht genehm. Vor diesem Hintergrund wäre dem Plattformbetreiber zu empfehlen, seinen Algorithmus nachzuschärfen. Andernfalls müssten sie sich den Vorwurf gefallen lassen, einem doppelbödigen Rassismus als Werkzeug zu dienen. Und auch den „Trick“, den inkriminierten Autor eines Kommentars in Sicherheit zu wiegen, obwohl er gebannt wird, können sie ganz sein lassen.

Marco Wehr ist Philosoph und Schriftsteller. Er leitet das Philosophische Labor in Tübingen (www.philab.de).

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