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#Zu Gast in der kleinen Ehehölle

„Zu Gast in der kleinen Ehehölle“

Auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin stehen sie wieder herum, die ganz normalen Menschen, mit denen der britische Erfolgsautor Simon Stephens seine Stücke gern bevölkert. Bis sie irgendetwas aus der Bahn wirft, sind sie unauffällig, durchschnittlich, alltäglich. In „Am Strand der weiten Welt“ (2005) sind es drei Generationen, die nahe Manchester wohnen und eigentlich gut miteinander auskommen.

Obwohl: wirklich ungetrübt ist das alles nicht. Der Großvater trinkt heimlich und wird handgreiflich gegen die Großmutter, ihr gemeinsamer Sohn ist ein Schwächling und dessen Frau von ihm enttäuscht, die Enkel, 15 und 18 Jahre, wachsen so vor sich hin. Bis eines Tages Christopher, der Jüngere, eine rote Ampel ignoriert, von einem Auto überfahren wird und stirbt. Daraufhin zerbricht das labile Gleichgewicht, und die Verwerfungen treten zutage.

Keine Fallhöhe

Das Bühnenbild von Wolfgang Menardi, eine runde weiße Scheibe, löst sich auf, beginnt sich zu drehen und zu verschieben: Die Welt ist aus den Fugen. Dessen ungeachtet bleiben die Figuren – fast alle permanent im Bühnenraum anwesend – auf dem Boden ihrer banalen Existenzen. Sie werfen zwar manchmal lange Schatten an die Wand, gewinnen allerdings keine Fallhöhe. In ihrer Typisierung sind sie vor allem langweilig.

Die Regisseurin Daniela Löffner, eine wahre Belebungskünstlerin selbst dieser neun papierenen Plappertaschen, formt daraus trotzdem ein Ensemble, das zusammen atmet, leidet und liebt. Barbara Schnitzler und Peter René Lüdicke geben abgebrüht das in trauter Zweisamkeit abgestumpfte Großelternpaar, vereint bloß durch Gewohnheiten und Gemeinheiten. Kathleen Morgeneyer als Alice und Alexander Khuon als Peter sind in ihrer ambivalenten Gefühlslage noch nicht ganz so weit, aber wohl auf bestem Weg dahin. Jona Gaensslen singt zwischendrin zur Gitarre und geistert als Christopher auch nach dessen Tod durch die Gegend. Niklas Wetzel als sein verzweifelter Bruder Alex flieht mit seiner von Wassilissa List lolitahaft gespielten Freundin Sarah kurzzeitig nach London.

Traurige Gesellschaft: Szene aus „Am Strand der weiten Welt“ von Simon Stephens


Traurige Gesellschaft: Szene aus „Am Strand der weiten Welt“ von Simon Stephens
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Bild: Arno Declair

Katrin Wichmann ist die lesbische Unfallfahrerin, die später fast Alice verführt, und Agnes Mann eine Bauherrin, der Peter sehr sympathisch ist. Und das ist längst nicht alles im paarweisen Unglück! Warum mag Alex keinen Blumenkohl? Ist Sarah schwanger? Wird Opa dement? Simon Stephens erspart seinen Personen keine Fragen – nur wen interessiert’s? Gegen seinen trostlosen Geschichtenbrei sind die aufgeschlossenen wie tüchtigen Schauspielerinnen und Schauspieler ebenso wie die tapfer bemühte Regisseurin machtlos. Man wünscht ihnen ein besseres Stück.

Im Festungsturm auf einer abgeschiedenen Insel

Was soll man hingegen Claude De Demo, Marc Oliver Schulze und Gerrit Jansen im Berliner Ensemble wünschen? Sie zeigen mit August Strindbergs „Totentanz“ (wenngleich nach einer Bearbeitung John von Düffels) quasi die Urmutter alle Beziehungsdramen – ein Psychogramm, das immer wieder lohnende Einblicke in die Ehequalen anderer Leute bietet.

Mit Kay Voges, seit 2020 Direktor des Wiener Volkstheaters, haben sie einen zupackenden Regisseur an ihrer Seite, und trotzdem wirkt die Aufführung seltsam oberflächlich. Vielleicht liegt es daran, dass Voges sich an ein ihn offenbar prägendes Fernsehereignis erinnert hat, nämlich die amerikanische Mystery-Serie „Lost“ (2004 bis 2010), die von einem Passagierflugzeug handelt, das auf einer einsamen Insel abstürzt. Auch Strindbergs Alice und Edgar leben in einem Festungsturm auf einer abgeschiedenen Insel, genannt „Die Kleine Hölle“.

Hände hoch oder ich langweile mich: Gerrit Jansen als Kurt, Claude De Demo als Alice und Marc Oliver Schulze als Hauptmann in „Totentanz“


Hände hoch oder ich langweile mich: Gerrit Jansen als Kurt, Claude De Demo als Alice und Marc Oliver Schulze als Hauptmann in „Totentanz“
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Bild: Marcus Lieberenz/bildbuehne.de

Der Bühnenbildner Daniel Roskamp hat ihr Zuhause als Kommandozentrale hergerichtet, mit Überwachungskameras in Schwarz-Weiß, Tonbandgeräten, allerlei Knöpfen, Tasten, Lampen, Displays, wie sich das seit „Raumpatrouille Orion“ gehört. Mal fällt der Strom aus, dann flackert alles bedrohlich, mal schwitzt Marc Oliver Schulze als Edgar auf einem aufgebockten Fahrrad, dann springt die Musik an, das Licht wird bunt, und Claude De Demo als Alice tanzt aufgescheucht durchs Gelände.

Böse Pärchenspiele

Ansonsten sind sie einander in herzlichster Abneigung zu­getan. Nach Jahren kommt der gemeinsame Freund Kurt zu Besuch und wird natürlich in die bösen Pärchenspiele einbezogen. Der Wein ist ausgetrunken, vom Whisky dagegen gibt’s noch genug, damit säuft man sich durch die Tristesse, die Misere, die Sinnlosigkeit. Edgar erschießt eine Ratte in der Küche und erstarrt später in unerklärlichen Absencen, Alice rasiert sich geräuschvoll die Beine und glorifiziert ihre Vergangenheit am Theater, Kurt reißt sich erregt das T-Shirt vom Leib und beißt sie in den Hals – es geht drunter und drüber und sieht dabei merkwürdig aufgeräumt aus.

Schon nach neunzig Minuten ist die Aufführung vorbei, und das ist nicht schlimm, denn obwohl sie dicht inszeniert ist, verliert sie sich inhaltlich in den Tiefen des Weltalls. Wer diese Leute eigentlich sind, warum sich das Ehepaar seit einem Vierteljahrhundert bekriegt, würde einen durchaus interessieren, Kay Voges hält sich da raus. Seine Verweise auf Samuel Beckett, Jean-Paul Sartre und das Theater des Absurden, die er im Programmheft deponiert, klingen zwar gut, helfen dem Publikum aber nicht weiter, weil sie als Versprechen nicht eingelöst werden.

Die Choreographie des Leerlaufs zwischen Bissigkeiten und Beschimpfungen schnurrt wie geölt ab, ohne den Abend von der Stelle zu bringen. So ist’s für Strindberg zu wenig, für „Lost“ zu viel: Und insgesamt ein paar Theaterklassen zu schwach.

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