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#Zum Liebesduett reicht eine Harfe

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„Zum Liebesduett reicht eine Harfe“

Als die Literatur der Liebe noch geholfen hat, im Mittelalter also, lasen Francesca da Rimini und ihr Schwager Paolo eines Tages gemeinsam den Roman um Ritter Lancelot des Chrétien de Troyes. Die Folgen sind bekannt: Als sie zu der Stelle kommen, wo Lancelot seine anderweitig verheiratete Königin ganz einfach küssen musste, da fühlen sie sich zur Nachahmung überredet: „Wir lasen weiter nicht zu jener Stunde.“ So berichtet es Dante aus dem zweiten Höllenkreis.

In Saverio Mercadantes Oper „Francesca da Rimini“ an der Frankfurter Oper findet diese Lesestunde zur Halbzeit, am Ende des ersten Akts, statt: in einem surrealen Raum mit galerieweißen Wänden, der unentwegt zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, zwischen realer Handlung und psychologischer Deutung changiert. Rechts steht das Bett der Francesca, links findet sich ein kohlschwarzer Felsen, an dem die Schwerter der Mannen von Rimini lehnen, die zu Beginn als großer Chor aus siegreicher Schlacht heimgekehrt sind. Dazwischen irren die Sopranistin Jessica Pratt als Francesca und die Mezzosopranistin Kelsey Lauritano als Paolo umher, von ihrer unterdrückten Liebe gequält, halb einander suchend, halb fliehend, in der Hand das verführerische Buch, aus dem sie einander ebenso verführerisch vorsingen. Bis schließlich, man hat den Fels erklommen, die Leidenschaft hemmungslos emporlodert und sich steigert bis hin zu dem verruchten Begehren: „Lass mich deine Knie umfassen!“ Weiter geht es nicht voran im Ehebruch, denn in diesem Moment stürzen schon Gatte und Vater herein, großes Tableau, das schuldige Buch wird in Brand gesteckt, die beiden Unschuldslämmer werden ihrer Strafe zugeführt.

Um der Einheit der Zeit willen hat der an sich erfahrene Librettist Felice Romani jede Möglichkeit einer psychologisch behutsameren Entwicklung geopfert, so wie er den Ehebruch des 13. Jahrhunderts der Sittlichkeit von 1830 opfern musste. Romani will der Phantasie keinen Raum öffnen, und so wird dies Aufgabe der Musik. Aber auch der Regie, in ganz wörtlichem Sinn, denn in Johannes Leiackers Bühnenbild öffnet sich von Zeit zu Zeit die hintere weiße Wand und gibt den Blick frei auf Tänzer als Doubles der drei Protagonisten. Vor einer an Caspar David Friedrich gemahnenden Klosterruine entkleidet dort ein zweiter Paolo eine zweite Francesca, nimmt sie auf den Arm und trägt sie davon.

So weiß die Inszenierung von Hans Walter Richter dem mittlerweile ja auch schon gewohnten Auftreten von Doubles der Protagonisten neue Nuancen des Möglichkeitssinnes abzugewinnen. Später, im zweiten Akt, durchbrechen sie die Wand zwischen Utopie und Bühnen-Realität, interagieren mit den Sängern. Theo Lebow, der über weite Strecken den unversöhnlichen, blecherne Koloraturen schnarrenden und nach Vendetta schreienden Lanciotto geben muss, darf in seiner Arie im zweiten Akt einen ganz anderen, berührenden und warmen Ton anstimmen, dabei lässt er sich von seinem Double tröstend in den Arm nehmen. Zuletzt aber wirft er es unwillig zu Boden: Vendetta! Überhaupt werden hier ständig Blumen, Bücher und Darsteller zu Boden geworfen, Schergen fuchteln grausam mit Dolch und Schwert, Hofdamen leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen – was aber in Erinnerung bleibt, sind solche ruhigen Töne und Bilder, die von der Utopie der liebenden Zuwendung sprechen.

Das Frankfurter Publikum hat den Abend mit Begeisterung aufgenommen, später Erfolg für ein Stück, das ein merkwürdiges Schicksal hatte. Denn vermutlich würde sich niemand an Mercadantes „Francesca da Rimini“ mehr erinnern, hätte sie zu Lebzeiten, wie Dutzende weiterer Opern dieses Komponisten, ihre Aufführung erlebt. Diese scheiterte an Primadonnen-Rivalitäten und Intendanten-Selbstherrlichkeit, so verschwand die Partitur in den Archiven. 2016 erst erfolgte beim Festival della Valle d’Itria die Uraufführung, die von den Tiroler Festspielen Erl übernommene Frankfurter Produktion war die deutsche Erstaufführung. Und sie zeigt, dass Mercadante ein Komponist auf hohem Niveau war, versiert und inspiriert zugleich.

Stilistisch markiert die Partitur die Abwendung vom Modell Rossini hin zum melodramma romantico Vincenzo Bellinis: Koloraturen werden vom Selbstzweck zum Ausdruck seelischer Erregung, der liebende Paolo ist eine Hosenrolle für Mezzosopran, während der Tenor noch den wutschnaubenden Querschläger geben muss, aber es gibt kein aufgesetztes Happy End mehr – alles wie in Bellinis exakt gleichzeitigen „I Capuleti ed i Montecchi“. Nach wie vor dominiert der Gesang, und wo man Bellini vorgeworfen hat, er verwandle sein Orchester in eine Riesenharfe, da setzt Mercadante in den Liebesszenen gleich die Harfe als einzige Begleitung ein.

Ramón Tebar am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters sorgte für agile, manchmal etwas zu auftrumpfende Begleitung, anfangs gab es einige Wackelkontakte mit dem Chor. Auch hatte man den Eindruck, dass die drei Protagonisten, auf denen die Gesamtlast des Stücks ruhte, sich erst aufwärmen mussten, dann aber fabelhaft sangen, insbesondere Kelsey Lauritano, die den Paolo beweglich-wach spielte und sang, mit ihrem eher hellen und doch expressiven Mezzoklang. Schön auch die vielfältigen Blautöne der Biedermeier-Kostüme (Raphaela Rose) und die differenzierte Lichtregie (Jan Hartmann).

Als Plädoyer für Mercadante ist dieser Abend rundum überzeugend. Und wenn die Kulturpolitik der Stadt Frankfurt es ihrer Oper gestattet, mit entsprechenden Mitteln ihren mehrfach preisgekrönten Kurs fortzusetzen, dann wäre es ein logischer nächster Schritt einer kleinen ­Mercadante-Renaissance, sein Meisterwerk „Il giuramento“ auf die Bühne zu bringen.

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