Nachrichten

#Zum Shoppen in die desolate Komfortzone

„Zum Shoppen in die desolate Komfortzone“

Im Jahr 1908 führte Henry Ford in den Vereinigten Staaten sein legendäres Model T ein. Damit änderten sich nicht nur die Möglichkeiten der Mobilität, sondern auch die Infrastruktur und Ästhetik der Städte. Viele Orte wurden dem Auto so vollkommen angepasst, dass man in den Vierziger- und Fünfzigerjahren in zahlreiche Gebäude direkt hineinfahren konnte, darunter Kinos, Diners und Banken. Der Trip mit dem Wagen war erschwinglich und galt dank raffinierter Werbekampagnen als romantische Alternative zur Zugreise. Die Nebenwirkungen: 1925 gingen rund sechzig Prozent aller Todesfälle in Städten mit mehr als 25.000 Einwohnern auf das Konto von Kraftfahrzeugen. Ein Drittel dieser Toten waren Kinder.

Um zu verdeutlichen, dass die Schuld dafür weder bei den Autos noch bei deren Besitzern lag, machte bald der auch heute noch gebräuchliche Begriff „jaywalker“ die Runde. Dabei handelt es sich um einen unachtsamen Fußgänger, der an einer dafür nicht ausgewiesenen Stelle die Straße überquert. Das Wort „jay“ bedeutet so viel wie „Depp“. Angesichts einer unermüdlichen Autolobby konnten auch Organisationen wie das in den späten 1870er Jahren gegründete Good Roads Movement nicht viel ausrichten. Was als Bewegung von Radfahrern begann, wurde bald von Verkehrsklubs wie der American Automobile Association gekapert. Im „Good Roads Maga­zine“, der Zeitschrift des Vereins, ging es von etwa 1903 an weniger um Fahrräder als um Dinge wie die Instandhaltung von Highways.

Pragmatik und Flexibilität als wichtigste Tugenden

Von allen Transportmitteln hat das Auto die Gesellschaft der Vereinigten Staaten am nachhaltigsten geprägt, aber auch Pferde, Züge und Flugzeuge sind nicht zu unterschätzen. Wie sich die Landschaft und das Stadtbild im amerikanischen Westen den unterschiedlichsten Beförderungsmöglichkeiten anpassen mussten, das illustriert der Architekt Daniel Kaven in seinem neuen Buch. Dabei vermengt er Texte, eigene Kunstwerke, Karten, Werbeannoncen und Aufnahmen von Fotografen wie Edward Curtis oder Dorothea Lange zu einer lehrreichen und ästhetisch umwerfenden Collage. Zeigt er das römische Pantheon direkt neben einem Supermarkt in seiner Heimatstadt Albuquerque, auf dessen Parkplatz nur ein Wohnmobil steht („Breaking Bad“ lässt grüßen), wird deutlich, was er meint, wenn er von der „Uniformität des Endprodukts“ spricht, das als „Bühne unseres modernen Lebens in Amerika dient“.

K-Mart in Albuquerque, 2019





Bilderstrecke



Bühne des modernen Lebens
:


Bilder aus Daniel Kavens Band „Architecture of Normal“

Die Tristesse vieler Gebäude in den Vereinigten Staaten, ihre Themenparkhaftigkeit und immer gleiche Anordnung, all das offenbart sich jedem, der im Westen des Landes ein paar Tage mit dem Auto unterwegs ist. Interstate Highway, Ausfahrt, Parkplätze, Fast-Food-Restaurants, Einkaufsmeile, Wohngemeinden: Auf diese Abfolge ist Verlass. Sie ist das Signum einer Kultur, die Pragmatik und Flexibilität zu den wichtigsten Tugenden zählt – und die uns gleichermaßen trostlos und vertraut erscheint.

Von der Naturlandschaft zum unwirtlichen Besitz

So sind etwa Shoppingmalls, wie sie der österreichische Stadtplaner Victor Gruen entscheidend mitgestaltet hat, inzwischen auch in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Als Vorbild hatte der bekennende Autohasser europäische Arkaden im Sinn; herausgekommen sind von 1956 an, als sein erstes Einkaufszentrum in Edina, Minnesota eröffnete, jedoch klimatisierte Komfortzonen, die Frank Lloyd Wright als „desolat“ und „charmebefreit“ bezeichnete.

Kaven zufolge haben es die Vereinigten Staaten besser als jede andere Nation hingekriegt, Naturlandschaften in kürzester Zeit in unwirtlichen Besitz umzuwandeln. Das hat Gründe: 1800 lebten 24.000 Menschen in Kalifornien, 1900 waren es rund 1,4 Millionen, 2010 dann mehr als 37 Millionen. Wer begreifen will, was solche Zahlen bedeuten – zum Beispiel für die Ureinwohner, die Tiere, die Umwelt –, schaue sich die Abbildungen an. Auch wenn einige von ihnen oft gedruckt und weit verbreitet sind, ist die von Kaven präsentierte Auswahl durchweg beeindruckend. Der belebte Sunset Boulevard, fotografiert von H. Armstrong Roberts im Jahr 1952, oder ein gut gefüllter Parkplatz in Los Angeles, 1965 von Thomas J. O’Halloran ins Bild gesetzt, offenbaren mehr über das Selbstverständnis des Landes als jede noch so elaborierte Geschichtsstunde.

Daniel Kaven: „Architecture of Normal“. The Colonization of the American Landscape. Birkhäuser Verlag, Basel 2022. 456 S., Abb., geb., 62,– €.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!