Wissenschaft

#Ein Referenzpunkt für das Anthropozän

Wir Menschen haben die Erde so stark verändert wie kein Organismus vor uns. Deshalb soll unsere Ära künftig als „Anthropozän“ in die erdgeschichtliche Nomenklatur eingefügt werden. Jetzt hat eine Arbeitsgruppe der Internationalen Kommission für Stratigraphie (ICS) dafür einen globalen Referenzpunkt ausgewählt: Die Sedimentschichten in einem kleinen See in Kanada, dem Crawford Lake, werden zum Global Stratotype Section and Point (GSSP) – dem Ort auf der Welt, an dem die kennzeichnenden Merkmale des Anthropozäns, darunter der radioaktive Fallout der Atombombentests der 1950er Jahre und andere anthropogenen Veränderungen der Umwelt, besonders deutlich erkennbar sind. Nehmen auch die restlichen Gremien diesen Vorschlag an, könnte das „Anthropozän“ schon im nächsten Jahr zur offiziellen Epoche der Erdgeschichte deklariert werden.

Offiziell leben wir noch in der geologischen Epoche des Holozän, die vor rund 12.000 Jahren mit dem Ende der letzten Eiszeit begonnen hat. Wie bei anderen geologischen Epochen vor ihm ist der Beginn dieser Ära durch einen globalen und umfassenden Wandel der Umweltbedingungen oder der Lebenswelt gekennzeichnet. Im Falle des Holozäns war dies der Rückzug der Eiszeitgletscher und der starke Anstieg der globalen Temperaturen. Dies ist an Isotopenwerten und charakteristischen Veränderungen der in den geologischen Schichten abgelagerten Fossilien und Minerale abzulesen. Andere Epochenübergänge sind durch große Massenaussterben und die mit ihnen verknüpften Veränderungen gekennzeichnet, wie beispielsweise das Ende der Kreidezeit vor rund 66 Millionen Jahren. Seit dem Beginn des Holozäns vor rund 12.000 Jahren hat sich zunächst tausende von Jahren wenig verändert, das Erdsystem blieb relativ stabil.

Drei Voraussetzungen für das Anthropozän

Doch mit dem Beginn der Neuzeit und dem rasanten Wachstum der Weltbevölkerung hat sich dies geändert. Die Menschheit greift immer stärker in die Stoffkreisläufe, Natur und Klima ein, längst ist dies überall auf dem Planeten Erde nachweisbar: An den Treibhausgas- und Schadstoffemissionen, an der Zerstörung und Zersiedelung der Landschaften, am beschleunigten Aussterben von Arten oder den allgegenwärtigen Resten von Plastik und anderen synthetischen Materialien. Schon im Jahr 2000 schlugen deshalb einige Wissenschaftler, darunter der Nobelpreisträger Paul Crutzen, damals Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, vor, die vom Menschen geprägte Ära als neues geologisches Zeitalter zu definieren – als „Anthropozän“. Zuständig für die Einteilung der erdgeschichtlichen und damit auch stratigrafischen Zeitabfolgen ist die International Commission on Stratigraphy (ICS). Sie entscheidet, ob und wann ein neues geologisches Zeitalter eingeführt wird.

Damit dies erfolgen kann, müssen drei Anforderungen erfüllt sein: Es muss mindestens ein typisches Merkmal der neuen Epoche geben, das in geologischen Schichten klar ablesbar und nachweisbar ist, es muss – und anderem anhand dieser Merkmale – festgelegt werden, wann diese Epoche begonnen hat, und man benötigt einen Referenzpunkt – einen Ort, an dem die ausschlaggebenden Kennzeichen für die neue Epoche besonders deutlich und repräsentativ zutage treten. Diese Referenzpunkte werden als „Global Stratotype Section and Point“ (GSSP) bezeichnet. Weil diese mit goldfarbenen Metallplaketten markiert werden, werden sie auch als „Golden Spike“ – Goldener Nagel – bezeichnet. Damit das Anthropozän eine offizielle geologisch-stratigrafische Epoche werden kann, mussten diese drei Fragen geklärt werden.

Radioaktiver Fallout als Marker, Kanadischer See als GSSP

2009 setzte die International Commission on Stratigraphy deshalb eine Arbeitsgruppe ein, die dies prüfen sollte. Diese Anthropocene Working Group (AWG) beschloss im Jahr 2019 nach eingehender Prüfung, dass es genügend Indikatoren für das Anthropozän als neue stratigrafische Epoche gibt. Wann diese allerdings begonnen hat, war zunächst strittig: Crutzen und andere schlugen den Beginn der industriellen Revolution als Startpunkt vor. Allerdings sind die damit verbundenen geologischen Veränderungen nicht weltweit in gleicher Weise und zur gleichen Zeit nachweisbar. Ähnliches gilt für Landnutzungsänderungen oder den Nachweis synthetischer Materialien. Deshalb einigte man sich auf die Zeit um 1950 als Beginn des Anthropozäns. In dieser Zeit erreichten die Atomwaffentests ihren Höhepunkt und das dabei freigesetzte Plutonium und andere radioaktive Nuklide wurden weltweit verteilt. „In der Natur kommt Plutonium nur in minimalen Spuren vor. Aber in den 1950er Jahren sehen wir einen beispiellosen Anstieg von Plutonium in Bohrkernen aus aller Welt“, erklärt Andrew Cundy von der University of Southampton. Ebenfalls um diese Zeit führten das Ende des Zweiten Weltkriegs und der darauffolgende wirtschaftliche Wiederaufschwung zu einer Beschleunigung und Verstärkung der anthropogenen Eingriffe in Natur und Stoffkreisläufe.

Damit blieb noch die dritte Voraussetzung: ein Referenzpunkt. Dafür hat die ICS-Arbeitsgruppe in den letzten Jahren zwölf Kandidaten auf fünf Kontinenten eingehend überprüft. Jetzt haben die Experten ihre Wahl getroffen. Als offiziellen ‚“Golden Spike“ für das Anthropozän schlägt das Gremium den Crawford Lake in Kanada vor. Dieser kleine See liegt in einem Naturschutzgebiet am Nordufer des Lake Ontario. „Der See ist mit 24 Metern sehr tief für seine Größe“, erklärt Francine McCarthy von der Brocks University in Ontario. Sein entsprechend ruhiges Tiefenwasser ermöglicht eine ungestörte Sedimentablagerung. Die jährlichen Schichten des Sediments sind daher besonders gut unterscheidbar und bilden so ein stabiles geologisches Archiv. Wie an „Jahresringen“ lassen sich an ihnen die Umweltveränderungen der letzten rund tausend Jahre ablesen – darunter auch der starke Anstieg des Plutoniums und anderer radioaktiver Isotope aus den Atombombentests der 1950er Jahre.

Damit ist der kleine Crawford Lake auf dem besten Wege, zum „Golden Spike“ für das Anthropozän zu werden. Der Vorschlag, Crawford Lake mit dem „Golden Spike“ für das Anthropozän zu versehen, muss nun aber weitere Abstimmungen innerhalb der stratigrafischen Fachcommunity durchlaufen. Wenn er entsprechende Mehrheiten findet, könnte die International Union of Geological Sciences den neuen GSSP im August 2024 ratifizieren.

Quelle: Max-Planck-Gesellschaft

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