Wissenschaft

#Zwischen Gehorsam und Moral

Wenn eine Anweisung unseren Moralvorstellungen widerspricht, erleben wir einen inneren Konflikt: Sollen wir gehorchen oder zu den eigenen Werten stehen? Was wir dabei fühlen und wem wir die Verantwortung zuschieben, wenn wir der Aufforderung folgen, haben Forschende nun getestet. Dafür forderten sie Versuchspersonen dazu auf, lebende Käfer in einer Kaffeemühle zu zermahlen. Betonten sie dabei die Eigenverantwortung der Teilnehmer, weigerten sich diese häufiger. Doch auch Probanden, die sich verpflichtet fühlten, der Anweisung zu folgen, sahen anschließend die Verantwortung bei sich.

Im Jahr 1974 sorgte der amerikanische Psychologe Stanley Milgram mit einem Experiment für Aufsehen: Er wies Versuchspersonen an, anderen Menschen im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie Elektroschocks zu verpassen. Tatsächlich waren viele Probanden bereit, Elektroschocks bis zu einer potenziell tödlichen Stärke auszulösen. Dass es sich bei den scheinbar Geschockten um Schauspieler handelte, die die Elektroschocks nicht wirklich bekamen, wussten die Versuchspersonen nicht. Das Experiment hat zahlreiche Diskussionen zum Thema Autoritätsgläubigkeit und Gehorsam ausgelöst. Eine gängige Theorie ist, dass die gehorchenden Versuchspersonen die Verantwortung für ihre unmoralische Handlung nicht bei sich selbst sehen, sondern bei demjenigen, der sie dazu angewiesen hat.

Manipulierte Kaffeemühle

Diese These hat ein Team um Felix Götz von der Universität Regensburg nun in einem abgewandelten Gehorsams-Experiment überprüft. Dazu gaben die Forschenden gegenüber ihren Probanden vor, es ginge in der Studie darum, die Gefühle beim Zerstören zu untersuchen. Unter diesem Vorwand wiesen sie die Testpersonen an, zunächst Kaffeebohnen, dann einen gefalteten Papierkranich und schließlich lebende Mehlkäfer in einer Kaffeemühle zu zermahlen. Letzteres widerspricht bei vielen Menschen den ethischen und moralischen Grundsätzen, weil dabei Tiere unnötig getötet und ihnen wahrscheinlich Leid zugefügt wird. Eine Kontrollgruppe bekam die gleichen Anweisungen, erhielt aber zusätzlich den Hinweis, dass es in ihrer eigenen Entscheidungsgewalt liege, der Aufforderung zu folgen oder nicht.

Nach jeder Zerstörungsaufgabe füllten die Testpersonen einen kurzen Fragebogen zu ihren aktuellen Gefühlen von Macht, Freude und Aufregung aus. In einem weiteren Experiment mit einer neuen Gruppe von Probanden maßen die Forschenden zusätzlich die Hautleitfähigkeit der Teilnehmenden als Maß für ihre emotionale Erregung und fragten sie außerdem, wie verantwortlich sie sich für ihr Verhalten fühlten. Erst nach Abschluss der Experimente klärten sie die Versuchspersonen darüber auf, dass die Kaffeemühle so manipuliert war, dass die Käfer nicht wirklich zu Schaden kamen. Alle Käfer wurden nach Abschluss der Experimente in die Freiheit entlassen.

Gehorsam mit Schuldgefühlen

„In unserem ersten Experiment folgten 22 von 23 Probanden der Aufforderung des Versuchsleiters, die Käfer zu töten“, berichtet das Forschungsteam. „In der Kontrollgruppe, deren Entscheidungsfreiheit betont wurde, waren es dagegen nur sieben von 22 Personen.“ Mit dem Mahlen der Kaffeebohnen hatte dagegen keine der Versuchspersonen ein Problem und lediglich eine Person aus der Kontrollgruppe weigerte sich, den Papierkranich zu zerstören. „Die Ergebnisse zeigen, dass die Teilnehmer in der Aufforderungsbedingung eher bereit waren, Käfer zu töten“, schreiben Götz und sein Team. Doch wer der Aufforderung folgte, fühlte sich dabei schlecht: „Der selbstberichtete negative Affekt war nach der Aufforderung, Käfer zu vernichten, im Vergleich zu anderen Objekten erhöht.“

Im zweiten Experiment zeigten sich ähnliche Ergebnisse: Aus der Aufforderungsgruppe willigten 22 von 31 Teilnehmenden ein, die Käfer zu töten, aus der Kontrollgruppe nur elf von 30. Bei denjenigen, die die Käfer zu töten glaubten, verzeichneten die Forschenden einen deutlichen Anstieg der Hautleitfähigkeit – ein Hinweis auf emotionale Erregung und Stress. Im Gegensatz zu früheren Experimenten gaben die vermeintlichen „Käfertöter“ in der anschließenden Befragung jedoch an, selbst für ihre Handlung verantwortlich zu sein. „Dieser Befund ist unvereinbar mit einer Erklärung, die auf einer Übertragung der Verantwortung auf den Experimentator beruht“, schreibt das Team. „Insgesamt deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass viele gehorsame Teilnehmer ein schlechtes Gewissen hatten, wenn sie den Aufforderungen des Versuchsleiters zum Töten der Käfer nachkamen.“

Verpflichtung oder freier Wille?

Doch warum folgten sie dennoch der Anweisung? „Betrachtet man die Videoaufzeichnungen des Experiments, so scheint es, dass sich die meisten gehorsamen Teilnehmer während der Aufgabe der Käferzerstörung irgendwie verpflichtet fühlten, das zu tun, was der Versuchsleiter sagte, obwohl sie nicht davon überzeugt waren, dass sein Ziel das richtige ist“, erklären Götz und sein Team. Die Forschenden gehen davon aus, dass das Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem Versuchsleiter dazu geführt hat, dass die Probanden eigene moralische Vorstellungen hintenangestellt haben, um seine Erwartungen nicht zu enttäuschen.

„Die vorliegende Untersuchung liefert wichtige ethische Implikationen für die psychologische Wissenschaft im Allgemeinen“, so das Team. „Erstens könnten sich die Teilnehmer zu einer anfänglichen Vereinbarung verpflichtet fühlen, selbst wenn sie damit ihren eigenen Interessen, wenn nicht gar ihrem Wohlbefinden, zuwiderhandeln. Zweitens sollten Forschende darauf achten, die Abwesenheit von Widerstand nicht mit einem Ausdruck des eigenen ‚freien Willens‘ zu verwechseln.“

Quelle: Felix Götz (Universität Regensburg) et al., Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-023-38067-z

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