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#Zwölf Stunden sind kein Scherz

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Zwölf Stunden sind kein Scherz

Was tun, wenn die Theater geschlossen sind und sich eine Schauspielerin trotzdem auf die Bühne verirrt hat? Und sich, allein vor dem leeren Saal, natürlich furchtbar einsam fühlt? Heutzutage lässt sie sich eben verkabeln, so das Produktionsbudget es erlaubt, und holt sich ihr Publikum einfach per „Live-Schalte“ herein. Das ist die simple Methode, nach der das britisch-deutsche Künstlerkollektiv Gob Squad seine Performance „Show Me A Good Time“ entwickelt hat. Die Idee ist nicht schlecht. Doch für zwölf Stunden Aufführung ist sie viel zu dürftig. Denn es zeigt sich schnell, dass diese Art von Distanztheater rein formal wie ästhetisch eine Tortur ist – die Tonqualität ist dürftig, die Bilder sind beliebig, die zunehmend selbstreferentiellen Improvisationen öde. Leider hat die Gruppe auch inhaltlich nichts zu sagen und kann dies trotz routinierter Ironie und berechnenden Understatements nicht kaschieren.

Mit ihrer digitalen Versuchsanordnung – alle acht Beteiligten haben eine Kamera – wollen sie zwar großspurig Raum und Zeit aushebeln, aber es gelingt nur insofern, als die oberflächlichen Darbietungen lang und länger erscheinen. Die Online-Premiere von „Show Me A Good Time“, komplett unter Pandemie-Bedingungen entstanden, fand letzten Sommer im Berliner Theater „Hebbel am Ufer“ (HAU) statt. Vor Publikum gab es danach ein paar Folgevorstellungen in Hamburg, Frankfurt und Stuttgart. Ohne Publikum wurde das Stück jetzt im Rahmen des Theatertreffens, zu dem Gob Squad schon zum zweiten Mal eingeladen ist, im Haus der Berliner Festspiele (das offenbar die Ellbogen gegen das kleine HAU ausgefahren hatte) aufgeführt und live ins Internet gestreamt. Die Struktur und der Plot der Performance sind geblieben, die Textbeiträge auf der Bühne und die Übertragungen von den mobilen Außenposten wurden völlig verändert.

Schaumberge liebkosend

„Show Me A Good Time“ besteht aus spontan wirkenden Erzählfragmenten und alltäglichen Betrachtungen, aus banaler Lebenshilfe („Lachen ist gesund“), kitschigen Kindheitserinnerungen und trüben Binsenweisheiten, die mit einer Mischung aus Pathos und Lakonie, Dilettantismus und Cleverness dauergrinsend aufgetischt werden. Auf der Bühne lösen sich die Solo-Moderatoren in wechselnden Kostümen ab und schlagen dampfplaudernd die Zeit tot, etwa wenn Tatiana Saphir sich in einem Eisbärenkostüm auf dem Boden räkelt und den weißen Pelz streichelt, während Sarah Thom daheim in ihrer Badewanne die dichten Schaumberge liebkost.

Sharon Stone ist aus England zugeschaltet und geht mit ihrer kleinen Tochter auch baden. Putzen tun sie alle sowieso gern: Sean Patten die Windschutzscheibe seines Autos, Simon Will einen S-Bahn-Wagen, Berit Stumpf ein bronzenes Krokodil an einem Brunnen auf dem Breitscheidplatz. Bastian Trost stolziert erst nackt auf der Bühne herum und referiert später die Geschichte des Hauses, wobei ihm „Volksbühne“ und „Freie Volksbühne“ munter durcheinandergeraten. Ansonsten nehmen Gob Squad ihr Online-Publikum uninspiriert auf eine ziemlich touristische Stadtrundfahrt mit: Flughafen Schönefeld, Humboldt-Forum, Alexanderplatz, Oberbaumbrücke, eine Schwulenbar. Einzig Laura Tonke, die bei ihrer Mutter untergeschlüpft ist, glänzt mit Humor und Schlagfertigkeit, kennt sich in Berlin aus und verbreitet – als Gast der Produktion – nicht nur schnell angegoogelten Schnickschnack.

In bestimmten Abständen viertelt sich der Bildschirm für synchrone Handlungen: Die Akteure lachen dann gemeinsam, gefallen sich in sinnfreiem Posing oder legen sich schlafen, wo sie gerade sind. Das ist ja alles schön und gut und sei ihnen gegönnt, bloß warum sollte diese infantile Soap irgendjemanden interessieren? Genau das ist die Frage, mit der jeweils zur vollen Stunde wildfremde Menschen auf der Straße angesprochen werden. Sie müssen sich für zwei Minuten eine Einlage anschauen, die extra für sie live auf der Bühne stattfindet, wo jemand zu singen oder zu tanzen versucht und stolz darauf ist, keine „Rolle zu spielen“, sondern ganz und gar sie oder er selbst „zu sein“. Die meist theaterfernen Zufallsgäste, die gar nicht wissen, wozu sie gebeten sind, werden dabei wie Idioten vorgeführt. Was ihnen – und uns – mit diesen laienhaften Nummern vorgesetzt wird, ist peinlich bis deprimierend, und alle sind froh, wenn es endlich vorbei ist. Seit fast dreißig Jahren gibt es die Gruppe mit ihrer rotzfrechen Avanti-Dilettanti-Masche nun schon (F.A.Z. vom 25. März), sie sind Veteranen des postdramatischen Theaters, das einmal die Bühnenwelt aus den Angeln heben wollte. Aber nichts ist so überholt wie das Zetermordio von vorgestern.

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