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#30 Jahre Deutsche Einheit: Ziemlich einig Vaterland

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30 Jahre Deutsche Einheit: Ziemlich einig Vaterland

Alle Jahrestage wieder, insbesondere an den „runden“, wird der Meterstab gezückt und nachgemessen, mit deutscher Gründlichkeit und nicht nur von Amts wegen. Sind Ost und West sich ein weiteres Stück näher gekommen? Oder haben sie sich sogar voneinander entfernt? Verglichen wird, was sich in Euro und Prozenten vergleichen lässt, vom Einkommen bis zur Einstellung zur Demokratie. Der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Einheit im Jubiläumsjahr umfasst knapp dreihundert Seiten. Zum Glück, das die deutsche Einheit war und ist, gibt es aber auch eine Kurzfassung des Ost-Beauftragten: „Wohin man schaut, man findet mehr Gemeinsames als Trennendes.“

Nun wird man gerade von einer Bundesregierung, an deren Spitze seit anderthalb Jahrzehnten eine ehemalige DDR-Bürgerin steht, nicht erwarten, dass sie ein düsteres Bild des Einigungsprozesses malt. Es wäre trotz aller noch bestehender Unterschiede zwischen den „neuen“ und den „alten“ Ländern der Lage aber auch nicht angemessen. Der Osten schließt zwar in den materiellen Disziplinen langsamer zum Westen auf als erhofft. Doch die Schere geht zu, nicht auseinander. Größere Sorgen muss man sich um eine wachsende Distanz zur parlamentarischen Demokratie machen. Sie ist freilich kein exklusives Ostphänomen. Auch im Westen hat diese Regierungsform nicht so viele Anhänger, wie sie es angesichts der (Erfolgs-)Geschichte der Bundesrepublik verdient hätte.

Die war auch vor 1989 nicht frei von Fehlern, Versäumnissen, Irrwegen. Doch die deutsche Nationalgeschichte kennt keine Phase, in der so lange Freiheit, Frieden und Wohlstand herrschten wie seit Gründung der Bundesrepublik. Das ist nicht allein das Verdienst der Deutschen. Doch besteht Deutschland auch den Vergleich mit Staaten, die nicht die Jahrhundertaufgabe einer Wiedervereinigung zu schultern hatten. In den Vereinigten Staaten und in Großbritannien ist nicht nur das Gesundheitswesen in einem schlechteren Zustand als in Bayern und Sachsen. Verglichen mit den tiefen politischen und gesellschaftlichen Rissen, die sich durch Amerika ziehen, ist Deutschland ein ziemlich einig Vaterland.

Die Welt ist im Umbruch

Darf man sich auf diesem Lorbeer ausruhen? Natürlich nicht. Vergangenheitsbewältigung in eigener Sache mag immer noch eine Lieblingsbeschäftigung der Deutschen sein; doch nicht minder müssen wir uns der Sicherung unserer Zukunft widmen. Die Welt ist im Umbruch: technologisch, ökonomisch, politisch. Die damit verbundene Unsicherheit erhöht die Attraktivität des Autoritären. Auf fast allen Kontinenten, auch in Europa, haben „starke Männer“ Zulauf, die ihren Völkern einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen. Deutschland erweist sich noch vergleichsweise immun gegen dieses Virus. Das hat mit den Lektionen der Vergangenheit, aber auch mit dem erarbeiteten Wohlstand zu tun. Geriete er in Gefahr, könnten auch in Deutschland die Widerstandskräfte gegen populistische bis autoritäre Politikentwürfe nachlassen. Unmöglich? Nicht in einer Welt, in der ein Donald Trump amerikanischer Präsident werden und bleiben kann.

Auch und gerade in Zeiten der „demokratischen Zumutung“ (Merkel) durch die Pandemie scheint die große Mehrheit der Deutschen aber noch froh zu sein, nicht in Amerika, Großbritannien oder Russland zu leben und nicht von einem Trump, einem Johnson oder gar einem Putin regiert zu werden. Dass man im Osten Deutschlands anders auf das Verhältnis zu Russland blickt als im Westen, ist einer von vielen Belegen dafür, dass das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Erbe der DDR auch noch dreißig Jahre nach ihrer Auflösung nicht völlig verblasst ist. Doch die deutsche Meinungs- und Mentalitätslandschaft wird nicht (mehr) von einer unsichtbaren Demarkationslinie streng in Ost und West geteilt. Deutschland ähnelt auch in dieser Hinsicht einem „Flickenteppich“. Der ist, das zeigt sich nicht zuletzt in der Corona-Krise, besser als sein Ruf. Bei aller berechtigten Kritik am real existierenden Föderalismus: Wer wollte auf den von ihm behüteten Schatz der politischen und kulturellen Vielfalt in deutschen Landen verzichten? Auch die Integrationskraft unseres politischen Systems ist nicht zu unterschätzen. Es hat, selbst wenn das Jahrzehnte dauerte, sogar die Grünen eingemeindet. Dann sollte es auch nicht an der Linkspartei scheitern.

Dreißig Jahre nach dem Beitritt des Ostens zum Geltungsbereich des Grundgesetzes überwiegt bei weitem das Licht, nicht der Schatten. Es hätte auch anders kommen können. Doch Deutschland strahlt, sogar von Großbritannien aus betrachtet, so hell, dass es zum Sehnsuchtsort vieler Menschen auf der ganzen Welt wurde. Auch damit kann man hadern, wenn man an manche Folgen denkt. Doch hätten wir, auferstanden aus Ruinen, lieber nicht so hell leuchten wollen?

Der Zukunft zugewandt, muss Deutschland sich auch klar darüber werden, wie es mit der europäischen Einigung weitergehen soll. Sie steht auf weniger stabilen Säulen als die deutsche. Aber auch sie gehört zu den Schicksalsfragen der Deutschen – wie auch der anderen Europäer.

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