Nachrichten

#Frau Doktor kommt aus Vietnam

Frau Doktor kommt aus Vietnam

Als Herbert Becker vor drei Wochen von der Intensivstation kam, schmiss er als Erstes den Rollator weg. „Ich lauf doch nicht mit dem Rollator durch Zeppelinheim!“, ruft der 83 Jahre alte Herr entrüstet. Und seine Frau seufzt: „Er meint, er wär fit.“

Livia Gerster

Livia Gerster

Redakteurin in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Vergangenes Jahr radelte Becker noch von Prag nach Dresden. An der tschechischen Grenze ist er dann „auf die Schnauze geflogen“. Da fragten manche: Wieso fährt ein 80-Jähriger überhaupt mit dem Fahrrad so weit weg? Gisela Becker: „Allerdings.“ Aber Herbert Becker meint, Astrid Lindgren sei ja auch noch mit achtzig auf Bäume geklettert. Und er habe ebenfalls vor, wieder Berge zu besteigen, trotz Corona.

Becker kennt sich aus in seiner Heimat. In Neu-Isenburg war er Bürgermeister und Stadtrat, machte den Frankfurter Flughafen und den Fußballclub Eintracht ein kleines Stückchen größer. „Aber was da in den Kliniken läuft, das kriegst du draußen gar nicht mit!“, ruft Becker, so wie er eigentlich alles ruft, was er sagt. Deshalb hat er zu sich eingeladen heute. Er möchte erzählen, was er im Krankenhaus erlebt hat.

Herbert Becker ist so groß, dass er sich mühsam aus seinem kleinen Polo schälen muss. Er wohnt nur ein paar Gehminuten vom S-Bahnhof entfernt, aber es nieselt, und Gäste holt man eben ab. Halb General, halb Schlitzohr, streckt er die Hand aus: „Ich bin sauber!“ Man sieht, dass ihm diese Mutprobe ein großes Vergnügen ist.

Zeppelinheim, eine Station vor New York

Becker ist ein Mann, der um das Auto herumgeht, um die Beifahrertür zu öffnen. Und der während dieser drei Schritte sofort von Passanten erkannt wird. „Ach, Herr Becker!“, ruft eine junge Mutter, und Becker beugt sich entzückt über ihren Kinderwagen. „Ich war ja hier mal Bürgermeister“, sagt er entschuldigend in den startenden Motor hinein. Und dann, feierlich: „Willkommen in Zeppelinheim. Eine Station vor New York.“ Hinter der Windschutzscheibe liegt der Frankfurter Flughafen, und all das, Zeppelinheim, der Flughafen und die weite Welt, das ist Beckers Leben.

F+ Newsletter

Erhalten Sie jeden Freitag um 12 Uhr eine Empfehlung unserer Redaktion mit den besten Artikeln, die Sie exklusiv mit Ihrem Zugang zu F+ FAZ.NET komplett lesen können.

Um begreiflich zu machen, was er im Krankenhaus erlebt hat, muss Becker sagen, wie es war. Auch wenn das vielleicht nicht so vornehm ist. „Ich rede Klartext“, droht er mit hessisch rollendem R und deutet in die Luft, um sein Dreibettzimmer in der Klinik zu beschreiben. Hier das Bett, da die Toilette, „und plötzlich fällst du von der Schüssel. Und dann kommt ein junger Mann, vom Aussehen vielleicht ein Algerier oder ein Ägypter, und hebt dich auf. Und eine junge Frau, vielleicht 21 Jahre, sagt: Becker, ich mach Sie sauber.“ Pause. „Da wissen Sie, wo Sie sind. Wo man sich nicht mehr selbst sauber machen kann.“ Pause. „Und da haben Sie eine Achtung. Vor diesen jungen Leuten.“

Frau Becker ruft. Die Frankfurter Würstchen sind heiß. Neben den Tellern liegen Messer und Gabel, falls der Gast sich nicht auskennt. „Handkäs mit dem Messer und die Frankfurter mit der Hand“, erklärt Becker. Dazu gibt es warme Brötchen, Senf und sauer gespritzten Apfelwein.

„Wissen Sie, ich war in der ganzen Welt für den Flughafen. Aber so viele Nationen wie in diesem Krankenhaus! Tschechen, Rumänen, Bulgaren und dann der ganze Maghreb“, erzählt Becker. „Ich hab natürlich immer gefragt: Ei, wo kommst du dann her? Ich komm aus Isenburg.“

Herbert Becker hat sich im Krankenbett genau aufgeschrieben, wer ihn alles betreut hat. Damit er die Ärzte und Pfleger zum Essen einladen kann, wenn es wieder geht. „Unglaublich, wie engagiert, hilfsbereit und fachkundig die sind“, sagt Becker. „Ich frag mich wirklich, was Deutschland machen würde, wenn es diese Leute nicht hätte.“

„Frau Doktor, wo kommsten her?“

Auf dem handgeschriebenen Zettel mit den Namen ist einer fett unterstrichen: Frau Doktor Tran, Fachärztin für Innere Medizin. Als die mit ihrer Schutzmontur in Beckers Zimmer kam, erzählt er, da sah er hinter der Maske „kein deutsches Gesicht“ und fragte natürlich gleich wieder, wie es so seine Art ist: „Frau Doktor, wo kommsten her?“ Aus Vietnam, sagte sie. Und Becker sagt bedächtig: „Ist das nicht toll?“

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!