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#Lass mich ihn berühren, deinen Leib

„Lass mich ihn berühren, deinen Leib“

Richard Strauss’ einaktige Oper „Salome“ nach dem Drama von Oscar Wilde leuchtet bei der Aufführung im Grand Théâtre de Provence. Klangfarben, die er neu aus der Partitur herausgehört hat, macht der Dirigent Ingo Metzmacher in überwältigender Klarheit mit dem Orchestre de Paris auch für das Publikum erfahrbar. In aufwühlendem Kontrast dazu betont die Regisseurin Andrea Breth auf der Bühne Dunkelheit, Nacht, ja Apokalypse. Bühnenboden und Wände sind schwarz, später aus einem schmutzigen Weiß. Herodes’ finaler Befehl „Man töte dieses Weib!“ kommt aus völliger Schwärze.

Die Dunkelheit ist hier aber kein billiger Ersatz für bildnerische Phantasie; die blauschwarzen Stoffe des Hofstaats wirken gewählt und edel (die Kostüme entwarf Alexandra Charles), und der Bühnenboden mit seinen sich verschiebenden Kratern, Rampen, Erhebungen führt ein Eigenleben (Bühne: Raimund Orfeo Voigt). Die Erde bebt in Zeitlupe. Denn: Der Tetrarch Herodes hat einen Gefangenen im Keller, der das nahe Ende der Welt verkündigt. Jochanaan, eine Mischung aus alttestamentlichem Propheten und Johannes dem Täufer, predigt aus der Tiefe Umkehr, jetzt. Seine Bewacher verstehen den Sinn der Worte nicht. Herodes ängstigt sich vor dem Gefangenen, und seine Gemahlin Herodias — dies hat die Regisseurin sehr genau gesehen — wird von der Stimme Jochanaans geradezu verfolgt und gequält. Ihr Leben ist bei aller äußeren Brillanz jetzt schon die Hölle, und die Mahnungen aus der Tiefe erinnern sie daran.

Für ihre Tochter, die Prinzessin Salome, laut Strauss eine „keusche Jungfrau“, ist Jochanaan ein Faszinosum. Erst ist sie nur neugierig auf das ganz andere an dem herben jungen Heiligen. Je nachdrücklicher er sie abwehrt, desto tiefer verrennt sie sich in den Wunsch, seinen roten Mund zu küssen, lebend oder tot.

Bei dieser ungemein konzentrierten Aufführung während des Festivals von Aix-en-Provence spielt sich ein Duell ab. Das geht bis hin zur körperlichen Verfluchung, wenn er sie – „Tochter Sodoms, Tochter Babylons!“ – am Hals packt, um sie auf Armeslänge von sich abzuhalten.

Jochanaans Musik ist von nobler Kantabilität, die Harmonien klar und ungetrübt. Gábor Bretz gestaltet die Partie souverän, sein Auftreten ist selbstverständlich, wenn er Salomes Zudringlichkeit abwehrt: „Ich höre nur auf die Stimme des Herrn, meines Gottes.“ Die Psyche seiner Duell-Gegnerin wird mit aufreizend dissonanter Musik durchleuchtet; ihre seelische Überspannung, vor allem gegen Ende hin, tritt in brutalen Blechbläserakkorden neben nervtötenden Tonrepetitionen in den Violinen zutage.

Und doch liegt auch alles Schöne, was sich Salome vorstellen kann, in der straussschen Musik des Überschwangs: „Lass mich ihn berühren, deinen Leib!“ Zum hymnischen Sehnen entfaltet sich normalerweise eine große Sopranstimme inmitten der Wogen des Orchesters. Metzmacher aber nutzt hier die sogenannten Dresdner Retuschen, mit denen Strauss 1929 den Orchesterpart so anpasste, dass die Gefahr einer Überdeckung der Gesangsstimmen gemindert wurde. Die dänisch-französische Sopranistin Elsa Dreisig, die bislang vor allem als Mozart-Sängerin gefeiert wurde und an der Hamburgischen Staatsoper in der Titelpartie der „Manon“ von Jules Massenet einen starken Eindruck hinterlassen hatte, hat sich hier nun an eine hochdramatische Partie gewagt – und gewonnen. Sie führt ihre wunderbar klare Stimme wie ein Instrument. Ihr Ausruf „Er ist schrecklich!“ gerät ihr glockenhell. Durch ihr entschiedenes Musizieren ist sie jederzeit präsent; „éblouissante“, hinreißend, wie die Zeitung „La Provence“ über sie schreibt. Beifallsstürme auch für die großartige Darstellerin; ihre Salome ist keine femme fatale, sondern eine junge Frau auf einem fatalen Irrweg.

Bevor eine Oper unter freiem Himmel im Hof des ehemaligen erzbischöflichen Palais in der Altstadt beginnt, finden sich die Bewohner und Besucher von Aix bereits zusammen in den zahlreichen Cafés auf wunderschönen Plätzen mit Brunnen, Platanen und Straßenmusik. Das vollkommene Mozartglück kann beginnen, wenn zu den ersten Tönen der Ouvertüre die letzten Mauersegler ihre spitzen Rufe ausstoßen, bevor sie sich zur Ruhe begeben. Die Erfahrung mit der Aufführung von „Idomeneo“, Wolfgang Amadé Mozarts leidenschaftlichster Opera seria, ist durchaus ambivalent. Raphaël Pichon und das Orchester Pygmalion sind kompetente, historisch informierte Musiker — liegt es an der Akustik, dass Mozarts revolutionäre Orchesterbehandlung zu wenig hörbar ist?

Der japanische Regisseur Satoshi Miyagi hat in Paris und beim Theaterfestival Avignon mit Mythen gearbeitet, die er jeweils mit japanischer Ästhetik verbindet. Die ist unbedingt sehenswert, im hiesigen „Idomeneo“ entstehen ästhetisch mitreißende Szenenbilder. So setzt er zu Elettras Furienarie ein schrecklich-schönes Schattenspiel ein (Choreographie: Akiko Kitamura).

Der Bühnenbildner Jenpo Kiz hat etwa drei Meter hohe Podeste gebaut, die, halb durchsichtig, mit warmem Licht erfüllt sind und sich fast lautlos auf der Bühne bewegen, von Menschenhand im Inneren geführt. Diese vieleckigen Podeste — keine Kuben, keine Quader — dienen als Standfläche für die Protagonisten; zugleich heben sie sie hoch über das Volk. Der Pygmalion-Chor, verstärkt durch den Chor der Oper Lyon, ist eine der stärksten szenisch-musikalischen Einheiten des Abends; er singt und spielt mit Präsenz, vom angstvollen „Già regna la morte“ (Der Tod regiert) bis zum freudigen Schlusschor.

Bei den Solisten jedoch fällt eine unerwartete Zurückhaltung auf. Indem sie enthoben in ihren eigenen Sphären singen, treten sie nicht zueinander in Beziehung. Die Spielhemmung schlägt sich auch auf den Gesang nieder, bei Michael Spyres etwa, einem der besten Tenöre für die schwierige Partie des Kreterkönigs Idomeneo, doch hier ein Schatten seiner selbst. Elettra (Nicole Cheva­lier) schlägt sich wesentlich besser, und der klare, lyrische Sopran von Sabine Devieilhe als Ilia klingt mit der traumhaft schönen Arie „Se il padre perdei“ (Wenn ich auch den Vater verlor) noch lange nach.

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