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#Aus einem verdüsterten Land

„Aus einem verdüsterten Land“

Es ist schon erstaunlich, welche Diskrepanz zwischen der symbolischen, also kostenlosen, und der handfesten Solidarität mit der Ukraine besteht. Dabei kann eine gut gemeinte Unterstützung sogar leicht demütigend wirken. Das ZDF nimmt auf seinem Nebenschauplatz für das junge hippe Programm, ZDFneo, die ukrainische, im Jahr 2019 von den ZDF- Studios koproduzierte Krimiserie „Hide and Seek“ ins Programm, und zwar, wie die Pressestelle gleich lautstark dazusagt: „um die ukrainischen Kreativen zu unterstützen“. „Flankiert“ werde die Ausstrahlung von „Spendenaufrufen“. Vielleicht um nicht gleich Begehrlichkeiten zu wecken, nimmt man eine begleitende Debatte ins ZDFneo-Programm auf: „Soll unsere Solidarität mit der Ukraine bedingungslos sein?“ Man hätte gedacht, dass das schon im Begriff Solidarität steckt. Sonst wäre es ein Tauschgeschäft.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich haben die ukrainischen Kreativen alle Unterstützung verdient. Nur hat die Ausstrahlung eine derart selbstgefällig anmoderierte und fast entschuldigend klingende Begründung überhaupt nicht nötig: „Hide and Seek“ ist eine knallharte, ästhetisch konsequente und höchst spannende Genreserie, deren Protagonisten vielleicht eine Spur zu elegisch angelegt sind, aber die die meisten deutschen Fernsehkrimis locker an die Wand spielt. Aus einem Kinderspaß wird dabei bitterer Ernst. Ein Vater findet seine siebenjährige Tochter nicht mehr, mit der er in der eigenen, abgeschlossenen Wohnung Verstecken spielte. Bald ist klar, dass sie entführt wurde. Und sie bleibt nicht das einzige Opfer. Der Vater, der selbst keine lupenreine Weste hat, aber das hat hier fast niemand, vermutet eine Sekte, die Kirche der unbefleckten Geburt, in der seine Ex-Schwiegermutter aktiv ist, hinter der Entführung. Aber weshalb, das kann er sich nicht erklären.

Dunkle Triebkräften innerhalb der Gesellschaft

Was es so gut wie nie gibt in „Hide and Seek“ ist weite Klarsicht. Alle Straßen liegen im Nebel, alle Innenräume wirken lichtlos und bläulich entfärbt. Etwas Bedrohliches schwebt über den heruntergekommenen Orten. Das schwach ausgeleuchtete Betongrau lässt selbst die wenigen edlen Räume kalt und abweisend wirken. So resolut dunkel und spröde werden Noir-Serien hierzulande nicht gehalten. Die veristische Bildsprache der Regisseurin Iryna Gromozda und des Kameramanns Serhiy Krutko erinnert eher an französisch-belgische Produktionen, kommt aber zumindest in den vorab zu Verfügung gestellten vier von acht Folgen ohne drastische Gewaltdarstellungen aus.

Auch wird das Rätselhafte, das durchaus konstitutiv ist, nicht zu einer Mystery-Handlung überdehnt, sondern dunklen Triebkräften innerhalb der Gesellschaft angelastet. Und doch leistet sich Gromozda nicht nur zum Einstieg eine andeutungshafte Anlehnung an „Twin Peaks“, wenn ein Wagen durch eine zwielichtige Fabriklandschaft fährt – es ist Enerhodar mit dem gigantischen, heute weltberühmten Saporischschja-Atomkraftwerk im Hintergrund – und plötzlich ein satt vibrierender Bassgitarrenton erklingt, der tief im Hinterkopf Angelo Badalamentis berühmten „Twin Peaks“-Soundtrack anstößt. An das Foto Laura Palmers in David Lynchs Meisterwerk mag das kurz darauf ins Bild gerückte, am Kühlschrank hängende Foto des bald entführten Mädchens erinnern. Und auch in „Hide and Seek“ sieht man überall flackernde Leuchtstoffröhren. Cool sind die Ermittler ebenfalls, doch eher gebrochene als gewitzte Figuren, zudem ein Duo, das erst zusammenwachsen muss.


Serientrailer
:

„Hide and Seek“


Video: ZDF, Bild: ZDF und FILM.UA/© Hide & Seek

Gleich zu Beginn wird der Ermittler Maksim Shumov (Pyotr Rykov) eines Dienstvergehens wegen gemeinsam mit seinem tiefer ins Drogengeschäft verstrickten Kollegen Valery Bondar (Mikhail Troynik) vom Leiter der Polizeidienststelle (Yakiv Kucherevskyi) degradiert. Statt Bondar, den ein schweres Schicksal erwartet, wird die einzelgängerische Varta Naumova (Yulia Abdel Fattakh) in Zukunft an Maksims Seite sein. Sie hat ebenso ein Trauma zu bewältigen wie Maksim, der als Junge beim Spielen seinen Zwillingsbruder verlor. Korruption ist ein zentrales Thema der Serie. Käuflichkeit hat sich tief in die gezeigte Gesellschaft hineingefressen. Das ist von bemerkenswerter Relevanz, denn tatsächlich galt die Ukraine, die hier postsowjetisch ärmlich und alles andere als schmeichelhaft porträtiert wird, vor dem Krieg als korruptestes Land Europas.

Und doch ist „Hide and Seek“ auch eine Zeitkapsel, denn immerhin äußerlich ist die darin gezeigte Ukraine noch intakt. Auf den Straßen liegen keine Panzersperren, und es treiben auch keine Sirenen die Bewohner regelmäßig in Bunker. Das Land hatte viele interne Probleme und einen schwelenden Konflikt im Osten, aber es war zugleich auch auf einem guten Weg. Regelrecht gruselig wird es, wenn man sich bewusst macht, dass just auf den gezeigten Straßen, auf denen Maksim und Varta mit viel Stil den Entführern nachjagen und bald den eigenen Kollegen in die Quere kommen, kurz nach den Dreharbeiten die russischen Eroberer mordend und brandschatzend vorrückten, um im größten Atomkraftwerk Europas, das in der Serie die bedrohliche, nebelverhangene Kulisse abgibt, die Kontrolle zu übernehmen. Die „Baustelle“ wiederum, auf der Maksims Bruder ums Leben kam und die in Rückblenden gezeigt wird – es ist mehr eine Ruine von Gebäuden –, erinnert fatal an eines der zerschossenen Apartmenthochhäuser in Borodjanka oder Mariupol.

Es ist fast, als spiele die Produktion mit den Zuschauern Verstecken. Kurz haben wir die Augen geschlossen und bis zehn gezählt: Danach war das ganze Land verschwunden. Und es blieb nichts als Bitterkeit und Trauer zurück. Noch eines aber verbindet die Ermittler der von Simor Glasenko bezwingend geschriebenen, auch ohne alle traurige Aktualität absolut sehenswerten Serie mit den Verteidigern von heute: Aufgeben kommt für sie nicht infrage, und wenn es das Letzte ist, was sie tun.

Alle acht Folgen von Hide and Seek – Gefähr­liches Versteckspiel laufen Samstag ab 22 Uhr auf ZDFneo. Danach 30 Tage in der Mediathek.

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