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Allenfalls geringe Schuld

Contergan-Prozesse gab es in den vergangenen Jahrzehnten mehrere. Vor 13 Jahren etwa ging es um den Zweiteiler „Contergan“ der ARD. Das Unternehmen Grünenthal aus Stolberg, das in den fünfziger Jahren das Schlafmittel mit dem Wirkstoff Thalidomid auf den Markt gebracht hatte, klagte gegen seine Ausstrahlung. Das Thema sei zur Unterhaltung untauglich, außerdem werde der Zuschauer „zugunsten der Einschaltquote durch Hinzuerfundenes und Verdrehungen verwirrt“.

Peter-Philipp Schmitt

Auch Karl-Hermann Schulte-Hillen, Vater eines durch Contergan geschädigten Sohns, klagte – vergeblich – gegen den Film. Der Rechtsanwalt sah sich in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt, da das Drehbuch an sein Leben angelehnt war. Ausgerechnet Schulte-Hillen war es auch, der Ende der sechziger Jahre als einer der Anwälte der mehr als 300 Nebenkläger auftrat, im eigentlichen Contergan-Prozess. Der Prozess schrieb deutsche Rechtsgeschichte, auch weil er besonders aufwendig war. Angeklagt unter anderen waren der geschäftsführende Gesellschafter von Grünenthal, Hermann Wirtz, und der wissenschaftliche Direktor Heinrich Mückter.

Wirtz war 1946 Gründer des Unternehmens gewesen, unter Mückters Leitung war 1954 das Medikament, das später den Handelsnamen Contergan bekam, entwickelt worden. Als es am 1. Oktober 1957 auf den Markt kam, rezeptfrei, schien es ein gut wirkendes Schlafmittel zu sein. Es hatte zumindest in Tierversuchen keine Nebenwirkungen gezeigt. Auch Schwangere könnten es sorglos einnehmen, hieß es in der Werbung des Unternehmens für Contergan. Eine längere Erprobungsphase hatte es nicht gegeben. Schon wenige Monate später wurde das Mittel, wenn auch unter anderen Namen, im Ausland verkauft.

Missbildungen von Neugeborenen

Obwohl es eineinhalb Jahre später erste Berichte von Missbildungen bei Neugeborenen gab, die anfangs auf Kernwaffentests geschoben wurden, hielt Grünenthal an dem Medikament fest. Es müsse alles getan werden, „um einer Rezeptpflicht auszuweichen, da bereits erhebliche Mengen des Umsatzes durch den Handverkauf zustande kommen“, hieß es in einem internen Papier aus dem Frühjahr 1960. Noch ein Jahr später, als die Firma schon damit rechnete, irgendwann Schadenersatz an Geschädigte zahlen zu müssen, ließ Grünenthal weiter produzieren. Erst nachdem unter anderen der Hamburger Arzt Widukind Lenz einen Zusammenhang zwischen Thalidomid und dem gehäuften Auftreten von Missbildungen nachweisen konnte und er dies im November 1961 auf einem Kongress öffentlich gemacht hatte, nahm Grünenthal Contergan vom Markt. Seither ermittelte die Staatsanwaltschaft und bereitete den Prozess vor, der sechseinhalb Jahre später beginnen sollte.

Der Strafprozess wurde am 18. Januar 1968 vor der Ersten Großen Strafkammer des Landgerichts Aachen eröffnet. Ein Zivilverfahren mit möglichen Entschädigungszahlungen hätte noch folgen müssen. Neun leitende Mitarbeiter waren wegen fahrlässiger Tötung und wegen schweren Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz angeklagt. Da es in Aachen, zehn Kilometer vom Unternehmenssitz in Stolberg entfernt, keinen Saal gab, der groß genug für alle Prozessbeteiligten war, musste die Kammer ins 15 Kilometer entfernte Alsdorf ausweichen, ins Casino „Anna“ des Eschweiler Bergwerksvereins.

Millionenschwere Entschädigungszahlungen

Der Prozess dauerte zweieinhalb Jahre. Mehr als 120 Zeugen wurden gehört. Immer wieder wurde von Seiten der Verteidigung versucht, die Rolle des Medikaments herunterzuspielen, obwohl es nach offizieller Zählung 5000 contergangeschädigte Kinder gab. Ihre schweren Missbildungen könnten alle möglichen Ursachen haben, führten die Verteidiger an. Vielleicht hatten die Mütter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken, oder sie wurden von ihren Männern geschlagen? Gab es Erbkrankheiten in den Familien oder äußere Einflüsse wie besagte Kernwaffentests?

Das Verfahren zog sich in die Länge. Als dann am 10. April 1970 die Eltern der Geschädigten mit Grünenthal einen Vergleich schlossen, schien eine weitere Strafverfolgung mangels öffentlichen Interesses unverhältnismäßig. Der Prozess endete vor genau 50 Jahren, am 18. Dezember 1970, mit der Begründung, „dass im Falle einer späteren Verurteilung allenfalls eine ,geringe Schuld‘ der einzelnen Angeklagten festgestellt worden wäre“.

Die Eltern hatten sich damals bereit erklärt, auf weitere Klagen gegen Grünenthal zu verzichten. Dafür zahlte das Unternehmen 100 Millionen Mark Entschädigung. Mit dem Geld wurde die heutige Conterganstiftung für behinderte Menschen begründet. Seither musste das Stiftungskapital mehrfach mit Bundesmitteln aufgestockt werden. Aber auch Grünenthal legte nach: Kurz nach Ausstrahlung des ARD-Films stellte das Unternehmen weitere 50 Millionen Euro zur Verfügung.

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