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#Als das Feuilleton an der Macht war

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Als das Feuilleton an der Macht war

Wie gut eine Zeit war, wird einem meist erst dann bewusst, wenn sie vorüber und vergangen ist – damals, als über die kommende sogenannte Berliner Republik debattiert und heftig gestritten wurde, war man ja von all den Argumenten, Vorschlägen und Erwiderungen viel zu sehr in Anspruch genommen, als dass man noch Zeit gefunden hätte, sich zurückzulehnen und zu fragen, ob dieser Streit womöglich schon das Beste sei, was der deutschen Politik und dem deutschen Kulturbetrieb passieren konnte.

Der Kanzler hieß Helmut Kohl, die Regierung saß noch in Bonn, als Michael Naumann die deutsche Öffentlichkeit überrumpelte, vor den Kopf stieß und zugleich verzauberte und faszinierte. Im Frühjahr 1998 hatte Karl Heinz Bohrer im „Merkur“ mit dem Personal der Bonner Republik kurzen Prozess gemacht: In den Physiognomien des Kanzlers und seiner Minister las er Stumpfheit, Ignoranz, Provinzialität. Im Sommer stellte der Kanzlerkandidat Gerhard Schröder seinen Kandidaten für das noch gar nicht existierende Amt des Kulturministers vor. Es war Naumann, der über den Stil, die Sprache, den Geist verfügte, die Bohrer in Bonn nicht gefunden hatte. Und dann ging es los, lange vor Schröders Wahlsieg und Naumanns Ernennung: Thesen und Meinungen zum Mahnmal (zu pompös), zum Schloss (wieder aufbauen!), zum Theater (weltfremd). Naumann sagte die Nobelpreise für Günter Grass und Herta Müller voraus. Und er entwarf, ganz ohne sich irgendwelcher Mehrheiten zu versichern, die Vision einer Republik, in der Geist und Macht, Künste und Politik, einander etwas mitzuteilen hätten.

Grundversorgung mit Irritation

Im Herbst 2000 überrumpelte er den Betrieb noch einmal: mit seinem Rücktritt. Das Land brauchte mindestens zwei Nachfolger, bis jene Normalität wiederhergestellt war, in der jedes Regierungsmitglied nur das tut, wofür es eben zu­ständig ist. Heute misst sich der Erfolg im Amt an den erkämpften Subventionen. Dieser Minister hatte die Versorgung mit Irritationen gesichert.

Naumann ging zur „Zeit“ und übernahm mit Josef Joffe die Herausgeberschaft und die Chefredaktion; zusammen entstaubten sie die Titelseite und schufen die Grundlage für den Erfolg, den die Wochenzeitung auch heute hat. Michael Naumann, der sich mit einer Studie übers Heldentum habilitiert hat; der Korrespondent in Washington war, Außenpolitikchef des „Spiegels“ und Geschäftsführer des Rowohlt-Verlags in einer Zeit, da sich der Umsatz verdoppelte und die Wirkung auch; der später Gastgeber einer Talkshow war, Chefredakteur des Magazins „Cicero“, Spitzenkandidat der SPD bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg – dieser Michael Naumann traut sich nicht nur immer wieder, das Große und das Ganze auf den Begriff zu bringen. Er hat auch die nötige Bildung und Erfahrung im Gepäck. Und falls er sich irrt: Umso besser, dann gibt es schöne neue Kämpfe.

Als er zurückgetreten war, fehlte er am meisten denen, die sich mit ihm gestritten hatten. Und für die es, als Revanche, eine Einladung in die Talkshow gab. Heute wird Naumann achtzig Jahre alt. Grund genug, ihm Unruhe zu wünschen und all die Meinungsverschiedenheiten, ohne die kein gutes Leben denkbar ist.

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