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#Armut nicht mit einem Achselzucken quittieren

„Armut nicht mit einem Achselzucken quittieren“

Der Bundespräsident hat Wort gehalten. Wie im März versprochen, ist Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag nach Mainz gekommen, um mit Menschen zu sprechen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen „aus der Gesellschaft herausgefallen sind“. Und man dürfe es auch nicht mit einem Achselzucken quittieren, wenn in einem wohlhabenden Land wie Deutschland Menschen auf der Straße lebten, stellte das Staatsoberhaupt nach einem bald zweistündigen Besuch der „Medizinischen Ambulanz ohne Grenzen“ fest.

Ebendort und mit einem eigens angeschafften Obdachlosenbus werden im Auftrag und auf Kosten des seit 25 Jahren bestehenden Vereins Armut und Gesundheit in Deutschland Patienten versorgt, die ohne Krankenversicherung sind – oder sich in wie auch immer gearteten anderen Notsituationen befinden. Es gehe um die „Ärmsten, Schwächsten und Verletzlichsten, die durch den Rost fallen“, fasste Steinmeier seine Eindrücke zusammen, nachdem er sich mehrere Lebensgeschichten mit vielen Höhen und Tiefen angehört und auch selbst Fragen gestellt hatte. Man müsse erkennen, dass so etwas passiere, obwohl Deutschland eigentlich ein leistungsfähiges Gesundheitssystem habe.

Das Interesse des Bundespräsidenten an und für Mainz geht auf die vom Amtsinhaber erwartungsgemäß klar gewonnene Wiederwahl am 13. Februar zurück. Damals lernte Steinmeier den als Obdachlosenarzt bekannten Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert kennen. Als Kandidat der Linken war er erklärtermaßen vor allem deshalb angetreten, um in Berlin und bundesweit auf die „soziale Ungleichheit im Land“ aufmerksam zu machen. „Ich werde natürlich nicht gewählt werden und werde auch nicht Bundespräsident, so viel Realitätssinn habe ich schon“, sagte der Fünfundsechzigjährige gegenüber der F.A.Z. schon vor der Wahl, die mit 96 Stimmen am Ende aber sogar etwas besser als gedacht für ihn ausgegangen ist.

Fehlern im System machen es Obdachlosen unnötig schwer

Das von Trabert angestoßene Thema fiel bei Steinmeier offenbar auf fruchtbaren Boden. Bei einem ersten Treffen im März im Schloss Bellevue, zu dem der umtriebige Armenarzt seinerzeit als Mitorganisator eines Hilfskonvois direkt von der polnischen Grenze aus gekommen war, vereinbarten beide den Mainz-Besuch. Der Bundespräsident sei sehr interessiert gewesen, habe Fragen gestellt und sich viel Zeit gelassen, bescheinigte Wolfgang Fahr dem Gast, nachdem er im Obdachlosenbus eine Weile mit ihm zusammengesessen hatte. Der in einem bewegten Leben auf vielfältige Weise verletzte und wegen Landstreicherei auch immer wieder inhaftierte Neunundachtzigjährige, der Traberts ältester Patient ist, lebt inzwischen in einem Mainzer Seniorenheim. Irgendwann habe er es mit „eisernem Willen“ und der Hilfe von Streetworkern und Sozialarbeitern geschafft, trocken zu werden und zurück in die Krankenversicherung zu kommen.

Entgegenkommend: Das Arztmobil fährt in Mainz zum Patienten.


Entgegenkommend: Das Arztmobil fährt in Mainz zum Patienten.
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Bild: Frank Röth

Was auch für Michael Schweickert ein langes Ringen war. Denn der früher als Discjockey sowie Licht- und Tontechniker tätige Privatpatient fiel irgendwann tief – und stand nach einer Insolvenz ohne jede Absicherung im Krankheitsfall da. Auch, weil er irrtümlich dachte, man könne bei einem neuen Job unabhängig vom Alter jederzeit wieder in eine gesetzliche Kasse zurückkehren. Dann aber seien irgendwann heftigste Rückenschmerzen aufgetreten, und auch eine neue Hüfte habe hergemusst, so seine Schilderungen. Nur der Hilfe, die er beim Verein Armut und Gesundheit erhielt, sei es zu verdanken, dass er heute wieder sagen könne: „Es geht mir ganz gut.“

Dass bei solch komplizierten Fällen selbst die Krankenkassen oftmals „nicht rechtskonform beraten“ und auch Mitarbeiter von offiziellen Stellen wie Jobcenter häufig nicht gut genug Bescheid wüssten, gehört für Trabert zu den Fehlern im System, die es Obdachlosen und Flüchtlingen unnötig schwer machten. Die eigens für solche Situationen geschaffene Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz habe immerhin eine Erfolgsquote von 40 Prozent, wenn es darum gehe, „Menschen wieder zurück ins System zu bringen“.

Der Verein Armut und Gesundheit, der sich als Teil des in der Zitadelle aufgebauten „mustergültigen Zentrums für Menschen am Rande der Gesellschaft“ versteht, braucht jährlich 500.000 Euro an Spenden, um all seine Hilfsangebote machen und die fest angestellten Mitarbeiter entlohnen zu können. Schön wäre es laut Trabert, in der Stadt zusätzlichen Wohnraum zu finden: für obdachlose Patienten, die nach ihrer Entlassung aus einem Krankenhaus erst noch eine Weile gut und sicher unterkommen müssten. Zum Gesamtpaket, das allen Besuchern seit zehn Jahren im Franz Adam Landvogt-Haus „ohne Bedürftigkeitsprüfung“ zur Verfügung gestellt wird, gehören neben der Ambulanz auch ein Starthilfe-Projekt und eine Teestube, die an 365 Tagen im Jahr morgens und abends geöffnet hat. Nur am Donnerstag, als der Bundespräsident bei „unserm Doktor“ war, blieben etliche Stammgäste offenbar lieber fern: Zu viele Kameras!

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