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#Auf welcher Seite steht jetzt wer?

„Auf welcher Seite steht jetzt wer?“

Der Krieg ist auch in Venedig angekommen. Vor den Giardini, wo an diesem Wochenende die 59. Kunstbiennale eröffnet wurde – Goldene Löwen erhielten Sonia Boyce, Simone Leigh und für ihr Lebenswerk Katharina Fritsch – drängten sich noch vor wenigen Jahren die Yachten der kunstsammelnden Oligarchen; jetzt sind die Quais bis auf zwei Boote und einen harmlosen französischen Ausflugsdampfer namens Michelangelo leer. Dafür weht an der Scuola Grande della Misericordia ein riesiges blau-gelbes Banner, auf dem, in der Handschrift des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, der Satz „We are defending our freedom“ zu lesen ist.

Hier hat der Sammler und Unternehmer Victor Pinchuk eine Ausstellung mit Arbeiten von ukrainischen Künstlern organisiert, Damien Hirst hat für die Solidaritätsschau ein blau-gelbes Bild mit Schmetterlingen dekoriert, die Malerin Lesia Khomenko zeigt dort lebensgroße Porträts ukrainischer Männer, die sich mit militärischem Gruß zum Dienst an der Waffe melden. Noch vor Kurzem hätte man es für undenkbar gehalten, dass die Besucher einer Biennale im Jahr 2022 mit einem respektvollen Schauder vor den Porträts von Kriegern in Heldenpose stehen würden.

In den Giardini, dem Hauptaustragungsort der Kunstbiennale, steht der russische Pavillon leer. Die Kuratoren waren wegen des Kriegs zurückgetreten, jetzt patrouilliert ein Wachmann vor dem Haus und passt auf, dass niemand etwas an die Fassade schreibt. Dort ist nur die verschnörkelte Jahreszahl „1914“ zu lesen; jetzt denkt man dabei an den Beginn eines Weltkriegs.

Kunstbiennalen wurden immer auch zu Kriegszeiten veranstaltet. Sogar im Sommer 1942, als Hitler sich im Führerhauptquartier Werwolf in der Ukraine aufhielt und die Wehrmacht die Krim eroberte, wurde in Venedig eine Kunstschau gezeigt und Champagner vor Skulpturen getrunken. Die Frage kam natürlich im Vorfeld dieser Biennale auf: Kann man hier feiern, wenn im Osten Europas Massengräber ausgehoben werden? Die Antwort in Venedig lautet: kann man. Bei der Eröffnung einer Ausstellung des Aktionskünstlers Hermann Nitsch auf der Giudecca tafelten mehr als hundert Gäste vor den blutroten Schüttbildern, danach legte ein DJ den Diskokracher „Welcome to St. Tropez“ auf, ein paar österreichische Immobilienhändler drehten sich zufrieden auf der Tanzfläche. Party! Am nächsten Morgen traf die Nachricht ein, dass Nitsch in dieser Nacht daheim verstorben war.

Spiel mit Identitäten

Weil es vor den Giardini leerer ist als gewöhnlich, fallen Dinge auf, die man sonst leicht übersieht – die Skulptur der „Partigiana“ zum Beispiel, eine im Wasser vor den Giardini halb überspülte Bronze­figur, die den Kämpferinnen gegen den National­sozialismus gewidmet ist.

Damien Hirsts „Sky Over Corn Field“


Damien Hirsts „Sky Over Corn Field“
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Bild: Damien Hirst

Um die Formen und die Orte des Widerstands geht es dieses Jahr auch im deutschen Beitrag: Yilmaz Dziewior, Kurator des deutschen Pavillons, hat die Künstlerin Maria Eichhorn eingeladen, den 1938 von den Nationalsozialisten umgebauten Pavillon, an dem sich viele Künstler abgearbeitet haben, zu gestalten. Einer ihrer Pläne lief darauf hinaus, den Bau komplett abzutragen und anderswo wieder aufzustellen. Das wäre nicht ganz auf der Linie der Bemühungen der Biennale um Klimaneutralität, aber laut Dziewior mit Spezialkränen durchaus möglich gewesen. Die Versetzung hätte den Blick auf die Lagune freigegeben und dazu eingeladen, über den Sinn nationaler Repräsentation nachzudenken; am Ende ist der Pavillon aber doch an seiner Stelle geblieben. Trotzdem hat Eichhorn ihn sehr intelligent dekonstruiert. Der Boden ist aufgebrochen wie bei einer Grabstätte, Teile des Wandputzes sind entfernt – und zwar genau dort, wo die Nationalsozialisten 1938 den alten Pavillon von 1909 aufgestockt und erweitert hatten.

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