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#Kasse schließt, bitte nicht mehr anstellen

Kasse schließt, bitte nicht mehr anstellen

Bis vor zwei Jahren waren sie einfach da, Supermärkte. Hässliche Kacheln im Neonlicht, lieblose Stapel Blumenerde vor der Schiebetür, regalweise abgepackte Waren, die uns mit ihren Kuhweiden und Kochlöffelomas unverfroren ins Gesicht lügen. Als habe diese bleiche Welt noch irgendetwas mit einem Wochenmarkt zu tun. Nicht zu vergessen die mit Mindestlohn abgespeisten Mitarbeiter, die sich dafür mit Mindesttempo beim Einpiepen rächen. Immer noch besser als künstlich dumme Roboterkassen: „Unbekannter Artikel auf der Einpackablage.“ Dennoch waren wir ständig dort, am Nullpunkt des Konsums, haben es nur – Psychologie der Gewöhnung – gar nicht gemerkt.

Dann kam der Lockdown, und der Gang zum Supermarkt wurde zum einzigen Lichtblick. Welch eine Sehnsucht nach Blumenerde. Schlachten ums Klopapier. Die oft nur durch abstrusen Plexiglasmurks vor dem Virus geschützten, weiter mit Mindestlohn abgespeisten Mitarbeiter waren jetzt Helden, Frontkämpfer im totalen Aussitzen der Pandemie. Zum ersten Mal begannen wir, sie zu sehen. Dass das alte Gesetz, das Kassiererin Flora (Nura Habib Omer) in „Die Discounter“ zitiert: „Die hassen uns, wir hassen die“, nach wie vor gilt, sogar verschärft, ändert nichts daran, dass uns Supermärkte neu ans Herz gewachsen sind. Und prompt sind nun auch diese trotzigen Paradiese bedroht.

Ein „Pearl-Harbor-Moment“ für den Lebensmittelhandel

Vor wenigen Tagen nämlich hat der nimmersatte Konzern Amazon angekündigt, die europäische Supermarkt-Landschaft aufzurollen; von einem „Pearl-Harbor-Moment“ für den Lebensmittelhandel war martialisch die Rede. Die mit unzähligen Kameras und Sensoren ausgestatteten neuen Lokale, erfolgreich getestet in den Vereinigten Staaten, registrieren alles, was die Kunden aus den Regalen angeln. Beim Verlassen des Geschäfts wird der Einkauf automatisch abgerechnet. Im Sinne des verpackungstechnischen Ins-Gesicht-Lügens erscheint es da nur folgerichtig, dass Amazon, während es die Supermarkt-Mitarbeiter abschafft (nur ein paar Einräumer werden noch gebraucht; andere Ketten ziehen bereits nach), eine Serie ins Programm hievt, die dieselben in all ihrem schrägen, analogen Heroismus noch einmal feiert, als gäbe es kein Morgen.

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Der mittelgroße, nicht einmal allzu schrammelige Discounter-Markt mit dem drollig verunglückten Franchise-Namen „Feinkost Kolinski“ – typische Backsteinoptik mit Blechdach, eigener Parkplatz – wächst uns unter dem überspannt hilflosen Filialleiter Thorsten (Marc Hosemann, eine Wucht) tatsächlich noch viel schneller ans Herz als jeder Laden um die Ecke. Und das ist kein Wunder, denn hinter der detailverliebten, sich von einer der Wirklichkeit abgeschauten Pointe zur nächsten hangelnden Mockumentary in Kurzepisoden, die auf ein größeres Erzählganzes verzichtet, steckt mit Christian Ulmen ein Mastermind der rasend authentischen Komik. Man denke nur an „Jerks“.

In „Die Discounter“ spielt Ulmen aber leider gar nicht mit, sondern fungiert neben Carsten Kelber als Produzent. Das ist schade, denn seine hinterlistige Pokerface-Naivität und sein schauspielerischer Tiefsinn fehlen. Dennoch übt sich die Young-Adult-Produktion ein wenig in Realbezügen. So hat der andere Jerk, Fahri Yardim, gleich in der ersten Episode einen Gastauftritt, wobei er vom verklemmten Security-Mitarbeiter Jonas (Merlin Sandmeyer) hartnäckig und lustig für Elyas M’Barek gehalten wird. Dass er heimlich Bioeier in die Bodenhaltung-Packung umsortiert, geht aber auch Jonas zu weit.

Kassen-Smalltalk und überklebte Mindesthaltbarkeitsdaten

Vom Genre her handelt es sich um eine Teambuilding-Serie, die davon erzählt, wie aus sehr verschiedenen Individuen Freunde werden. Buch und Regie stammen von Emil Belton, Oskar Belton und Bruno Alexander. Letzterer spielt zugleich „den Neuen“ an der Kasse. Auch die übrigen Rollen sind durchkonfektioniert: der James-Dean-Rebell, der sich an keine Regel hält (Ludger Bökelmann), der faule Schönling (David Ali Rashed), das verhuschte Entlein und Superhirn (Klara Lange). Mit perfektem Timing und viel Gespür für lässig servierte Gags stümpert sich diese liebenswerte Notbelegschaft sehr ansehnlich durch den scheinbar drögen Alltag zwischen Kassen-Smalltalk, Chef-Anpfiffen, überklebten Mindesthaltbarkeitsdaten und Aufsitzscheuersaugmaschinen, ein eigentlich grenzenloser Ennui, der jedoch nach der allseits befolgten Devise „Fick den Supermarkt, wo du nur kannst“ ständig von Katastrophen, Gefechten, Diebstählen und Gelüsten durchbrochen wird.

Viele Erzählstränge drehen sich um Liebeleien, wobei es schon für glänzende Darsteller spricht, selbst einem matten Einfall wie dem, dass Schönling Samy dem knapp fünfzigjährigen Filialleiter das Tindern beibringt, noch einige witzige Momente abzugewinnen. Auch sonst sind viele der Scherze erwartbar, und die erste Supermarkt-Serie ist das beileibe nicht. Die NBC-Produktion „Superstore“ hat bereits vor sechs Jahren einen humorvoll warmherzigen Blick auf dieses so eigene Soziotop im billigen Sparpreislook geworfen. Ulmens Serie, direkt dem niederländischen Format „Vakkenfullers“ nachgebildet, wirkt dagegen spontaner, greller erzählt und comedyhafter in der Figurenzeichnung. So wüst überdreht wie das holländische Massaker sollte es aber offenbar nicht werden, und auch vor wahren Pearl-Harbor-Momenten schreckte man zurück. So bleibt es eine harmlose, lakonische Schmunzelerzählung, der man vielleicht tatsächlich Rabatt geben muss als Post-Lockdown-Hommage an die Veteranen von der Avocado-Front. Heldenapplaus als Serie sozusagen. Und darüber schwebt die finale Durchsage von ganz oben: „Kasse schließt, bitte nicht mehr anstellen.“

Alle Folgen von Die Discounter ab heute auf Amazon Prime Video

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