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#Benzin im Blut

Im Jahr 1895 gründete der Journalist Edward Platt Ingersoll in New York eine Zeitschrift, deren Name eine bemerkenswerte Zukunft ankündigte: „The Horseless Age. A Monthly Journal Devoted to the Interests of the Motor Vehicle Industry“. Die gerade anbrechende Epoche wird hier also nicht über die Einführung von etwas Unbekanntem, sondern über die Abwesenheit von etwas Bekanntem definiert: Die Pferde verschwinden. Zur selben Zeit wurden Autos weder standardisiert gebaut noch in großem Stil vertrieben. Obwohl der Verbrennungsmotor längst existierte, setzten die Hersteller von Fahrzeugen weiterhin bevorzugt auf Dampf und Elektrizität.

Heute ist die Zukunft des Verkehrs abermals Debattenstoff, mit dem Unterschied freilich, dass sie kaum mehr zu trennen ist von der Zukunft im Allgemeinen. Und so liest man nicht ohne Erstaunen in Moritz Neuffers Aufsatz über die „Epochenwende in Automobilzeitschriften um 1900“, dass Ingersoll immer wieder auf den neuesten Stand des elektrischen Wagenbaus hinwies, dies allerdings missbilligend. Als Abnehmer eines E-Autos konnte er sich nur reiche Frauen in urbanen Gegenden vorstellen. Dabei waren batteriebetriebene Gefährte zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts so beliebt, dass sie mehr als ein Drittel aller in den USA registrierten Fahrzeuge stellten. Das erledigte sich mit dem elektrischen Anlasser, der die mühsam zu bedienende Kurbel ablöste.

Hat’s zum Audi, Mercedes oder Porsche nicht gereicht?

Neuffers Text findet sich in einem Sammelband über „kulturelle Imaginationen des Autos“. Dessen Inhaltsverzeichnis erweckt den Anschein, man habe es mit einer systematischen Abhandlung zu tun; tatsächlich sind die Beiträge, wie bei diesem Buchformat durchaus üblich, so uneinheitlich, dass sie ein buntes, streckenweise ausgestellt akademisches, insgesamt aber anregendes Sammelsurium ergeben. So empfiehlt sich denn auch eine prüfende, schnuppernde, hier und da vergleichende Lektüre. Denn einige Beiträge geraten miteinander in Schwingung, was keinesfalls nur bedeuten muss, sie würden sich zwingend ergänzen und zu ähnlichen Befunden gelangen. Vielmehr stößt der Leser gleichermaßen auf Konsens wie unterschiedliche Einschätzungen.

„Im Fuhrpark der Literatur“. Kulturelle Imaginationen des Autos. Hrsg. von Gwendolin Engels, Claude Haas, Dirk Naguschewski und Elisa Ronzheimer.


„Im Fuhrpark der Literatur“. Kulturelle Imaginationen des Autos. Hrsg. von Gwendolin Engels, Claude Haas, Dirk Naguschewski und Elisa Ronzheimer.
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Bild: Wallstein Verlag

Steffen Martus etwa weist in seinem Essay über die „Klassengrenzen der Generation Golf“ darauf hin, dass die „soziologische Zeitgeistliteratur“ seit den Sechzigerjahren beobachte, wie „eine Reihe von Kriterien ihre Bedeutungsgewissheit eingebüßt“ hätten. Dazu zählten Beruf, Einkommen und Besitz. Verglichen mit anderen Ländern, könnten sich bei uns „im Prinzip einfach zu viele Leute zu viele Lebensstile finanziell leisten“. Das gelte auch für Automarken, die in der Nachkriegszeit noch recht zuverlässige Anhaltspunkte für die gesellschaftliche Position gewesen seien. Heute dagegen entdecke man Personen am Steuer eines Porsche, die dort, jedenfalls auf den ersten Blick, fehl am Platz sind.

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