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#„Bevor die Proteste anfingen, habe ich ganz viele Leute heulen sehen“

„Bevor die Proteste anfingen, habe ich ganz viele Leute heulen sehen“

Herr Weber, Sie leben in Yangon (Rangun), Myanmars größter Stadt. Waren Sie heute auf den Straßen unterwegs? Wie ist die Atmosphäre?

Till Fähnders

Ich war heute ein bisschen hier in der Nachbarschaft unterwegs. Es sind kleine Demos, die sich hier bilden und dann zu größeren Demos zusammenwachsen, wie auch an den vorangegangenen Tagen.

Das Militär hat gestern über Yangon und Mandalay das Kriegsrecht verhängt. Seitdem gelten eine nächtliche Ausgangssperre und ein Versammlungsverbot von mehr als fünf Personen. Halten sich die Menschen daran?

Überhaupt nicht, aber das war auch absehbar. Das Kalkül dahinter ist, dass das Militär den Menschen hier den Mund verbieten will. Aber die sind heute umso enthusiastischer. Eben ist hier am Haus noch einmal ein größerer Trupp von bestimmt 200 Leuten vorbeigelaufen. Die großen Sammelpunkte für die Demonstranten sind verschoben worden, weil sich die Polizei da mit Wasserwerfern positioniert hat. Jetzt drehen die Gruppen teilweise um, gehen in die Stadtteile und die kleineren Ecken. Das heißt es gibt eher viele kleine Demos in den Stadtteilen. Diejenigen, die nicht mitlaufen, zeigen sich solidarisch an den Fenstern. Sie klatschen, geben den Demonstranten Wasser oder auch der Polizei Wasser, Blumen, Lebensmittel. Man sieht eben auch schöne Bilder und das lässt einen so ein bisschen hoffen. Und bei den Demos fährt jetzt in jedem größeren Trupp hinten ein Krankenwagen mit.

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In den vergangenen Tagen wirkten die Demonstrationen manchmal fast wie bei einem Festival. Ist das auch Ihr Eindruck?

Nein. Klar hat es schon so eine Energie wie bei einem Länderspiel. Womit ich aber nicht meine, dass hier so eine Partyatmosphäre herrscht. Ganz im Gegenteil, die Leute sind absolut ernst dabei. Sie gehen nicht wegen des Eventfaktors dorthin, sondern weil sie wirklich Flagge zeigen wollen.

Haben die Menschen heute mehr Angst, weil das Militär nun härter durchgreift?

Klar, auf jeden Fall schwimmt da so ein mulmiges Gefühl mit. Weil man einfach weiß, dass es jederzeit eskalieren kann. Und wir haben ja auch in der Geschichte schon gesehen, wie schnell Sachen aus dem Ruder laufen können, auch wenn das natürlich jetzt eine andere Zeit ist. Deswegen haben sie natürlich Angst, dass etwas passiert. Nun gibt es Berichte, dass das Militär sogar schon scharf geschossen hat. 

Nach dem Militärputsch in Myanmar stehen sich Demonstranten und Polizisten gegenüber.


Nach dem Militärputsch in Myanmar stehen sich Demonstranten und Polizisten gegenüber.
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Bild: EPA

Es scheinen ja vor allem junge Demonstranten etwa in Ihrem Alter und noch jünger unterwegs zu sein. Warum reagiert besonders diese Generation so stark auf den Militärputsch?

Es ist einmal eine sehr aufgeklärte Generation, die in der Demokratie ihre Jugend erlebt hat und groß geworden ist. Andererseits sind das natürlich die technisch versierten Leute, die wissen, wie sie mit Medien umzugehen haben. Die Älteren sind vielleicht auch ein bisschen traumatisiert von den Erlebnissen der Vergangenheit. Sie sind vielleicht nicht so wagemutig, weil sie wissen, dass das auch ganz schnell mal nach hinten losgehen kann. Die jungen Leute sind aufsässig und laut. Es gibt nun den Slogan: „You messed with the wrong generation!“ („Ihr habt euch mit der falschen Generation angelegt“). Die Leute haben die Demokratie gekostet, sie wissen, was hier auf dem Spiel steht und wofür sie kämpfen. Und man fühlt sich natürlich auch stärker, wenn man die internationale Aufmerksamkeit auf seiner Seite weiß. Es gibt Ausländer, die im Land leben und die Nachrichten raustragen, man hat die sozialen Medien und Fotohandys. Man fühlt sich natürlich auch etwas beschützter, als wenn man 1988 da weggeprügelt wird und weiß, davon wird nie jemand etwas erfahren.

Wie wird das Internet für die Organisation der Proteste genutzt? Und welche Folgen haben die Blockaden von Facebook, Twitter etc.?

Besonders Facebook ist hier das Medium, über das sich die Leute organisieren. Sie sind gar nicht so versiert im Umgang mit dem Internet. Es geht wirklich nur um Facebook, das hier synonym mit dem Internet ist. Das heißt, wenn wir zum Beispiel den Präsidenten von Uganda googeln, dann würden die das bei Facebook nachgucken. Indem Facebook runtergenommen wurde, wurde diese komplette Kommunikation abgeschnitten. Aber die Menschen haben schnell gemerkt, wie man die Sperre mit VPNs umgeht. Dann ist aber das Internet ganz ausgefallen ebenso wie das Telefonnetz. Und dann ging das eben so, dass die Leute mit Hilfe von Taxifahrern kommuniziert haben. Es gibt auch Apps, die kein Internet brauchen, wo man mit Bluetooth usw. Sachen schicken kann. Die Leute haben Sozialismus und Abschottung hinter sich, die wissen schon, wie sie sich untereinander informieren können.  

Wie haben Ihre Freunde in Yangon auf den Putsch vor mehr als einer Woche reagiert?

Da gab es erst einmal eine allgemeine Ohnmacht. Die ersten zwei Tage, da waren die Leute sehr paralysiert. Gar nicht mal so niedergeschlagen, sondern erst mal ungläubig. Und als dann klarer wurde, das bleibt für ein Jahr, da sind die Leute in Angst und in Sorge verfallen. Bevor die Proteste anfingen, habe ich ganz viele Leute heulen sehen. Was ich dann auch gemerkt habe – dies ist ja eigentlich ein sehr soziales Land – dass sich die Leute nun gleich wieder untereinander misstrauen. Ich habe über Politik geredet mit meinem Fahrer, der hat mich dann um die Ecke gezogen, lass mal hier weiter reden. Dann kam ein anderer Mann vorbei, der hat gesagt, ich solle nicht mit dem reden, der „plaudert“.

Welche Auswirkungen hat der Putsch auf Sie persönlich? Fühlen Sie sich sicher?

In meiner Unversehrtheit fühle ich mich erst mal nicht bedroht. Ich denke, im schlimmsten Fall werde ich des Landes verwiesen. Ich hätte dann natürlich Sorgen um meine Partnerin. Aber in erster Linie hätte ich Sorge um die Menschen hier. Im Moment kommen jeden Tag neue Hiobsbotschaften herein, aber auch Hoffnungsbotschaften.

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