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#Comicautor Alan Moore wird 70

Er schrieb mit „V for Vendetta“ und „Watchmen“ zwei der besten Comics aller Zeiten, aber das war wohl nur zum Aufwärmen: Der Autor Alan Moore wird Siebzig.

Die geringfügigsten Geldbeträge verdiente er als junger Hilfsarbeiter unter gehäuteten Schafen sowie als Kloputzer, die stattlichsten Summen später als berühmter Autor für amerikanische Superhelden-Comicverlage. Bei den Tierkadavern und im öffentlichen Waschraum aber roch es besser und ging es gesitteter zu als in der Unterhaltungsindustrie, findet er heute.

Dietmar Dath

Redakteur im Feuilleton.

Dabei sollte ihm das bunte Business dankbar sein, ist Alan Moore doch allein für ein ganzes Hochplateau der Pop-Kunstgeschichte verantwortlich, auf dem Momente daheim sind, die das Erzählpotenzial des Mediums Comic voll ausschöpfen: Die von Moore geschriebene und von Dave Gibbons illustrierte Szene in „Watchmen“ (1986 bis 1987) zum Beispiel gehört dazu, in der Strafgefangene einen Mithäftling bedrohen, der sie daraufhin in Wort und Tat belehrt, dass sie bei ihm in der Falle sitzen, nicht umgekehrt . Oder die Sequenz in „Promethea“ (1999 bis 2005, illustriert von J. H. Williams III), als eine zum Leben erweckte hellenistische Sagengestalt einigen bigotten Greisen, die im Namen falschverstandenen Christentums das Vorstellungs­vermögen anderer ersticken wollen, die harte Wahrheit sagt: Christus kann für sie kein Gewährsmann sein, denn er ist, wie viele Geschichten, gerade aus dem Grund heilig, dass er Licht und eine neue Sorte Phantasie in die Welt bringt, nicht Zensurvorschriften.

Einige von Alan Moores Geschöpfen sind Superheldinnen und Superhelden, aber von dem Idiom, in dem man mit solchen Figuren spielt, hat er längst genug. Filme und Serien, die sich auf seine Stoffe und Themen stützen, aber sein Formbewusstsein vermissen lassen, verachtet er. Hollywood und die großen Comic-Häuser kennt Moore nur als Orte, wo Menschen wie er, die den Rausch der Neuigkeit (sei die nun wissenschaftlich, ästhetisch oder profan nachrichtlich) genießen können, sich den geschäftlichen Entscheidungen von Leuten fügen müssen, denen nie etwas ein- oder auffällt, Krämerseelen von schmerbäuchigem common sense mit intellektuellem Fettsteiß.

Nach den kommerziellen Erfolgen der Achtzigerjahre wandte sich Alan Moore daher zunächst dem Kleinverlagswesen zu, um klügere Comics zu schreiben: Mit Melinda Gebbie erfand er „Lost Girls“ (1991 bis 2006), den verrückten Widerspruch eines emanzipatorischen Sex­romans in weichen Lesebuchbildern, mit Oscar Zárate bewies er in „A Small Killing“ (1991), dass die Abgeklärtheit, mit der Erwachsene die Traumansprüche ihrer Kindheit zurückweisen, eine mörderische Krankheit ist, und „Providence“ (2015 bis 2017, mit Jacen Burrows) lässt Menschenaugen am Wahnsinn einer ­Story teilhaben, von der man am Ende erkennt, dass Menschen sie gar nicht verstehen können, und düster spürt, dass sie für weise böse Wesen gedacht ist, die älter sind als die ältesten Erinnerungen unserer Spezies.

Über das tiefgedachte Wort und dessen Visualisierung hinaus hat der Magier Moore sich mit den Jahren selbst zum mystischen Klangkörper umgebaut, der auf unbeschreiblichen Audio-Werken wie „The Higbury Working: A Beat Séance“ (2000) und „Snakes & Ladders“ (2003) im Ton henochischer Liturgie spricht, mit einer Stimme, die noch das alltagsverklebteste Allerweltsgehör unwiderstehlich in den grenzenlosen Geistleib saugt, aus dem sie emaniert. Während er sich so nach und nach als Prospero aus Shakespeares „Sturm“ zu erkennen gibt, ist Moore nebenbei ein anziehend retro­modernistischer Schriftsteller geworden, mit Prosa von Versqualitäten, erstmals zur geschichtsübergreifenden Beschwörung von Vergangenheit und Ewigkeit seiner Heimat Northampton eingesetzt in „Voice of The Fire“ (1996), ausspekuliert zum kontrapunktisch perfekt durchkomponierten Riesenorchester-Roman dann in Gestalt von „Jerusalem“ (2016) – Satz für Satz ein Textkosmos seltsamster Schönheiten, vom Entzücken am „fairy-fungus“ (Feenpilzchen) bis zum Entsetzen übers Erlöschen der Sterne („. . . Arcturus and Algol either snuffed like candles or else relocated by a constantly expanding universe to somewhere out beyond . . .“, denn allem, was es gibt, droht immer und überall „the death of day“, das Nichtsein). Eine deutsche Übersetzung dieses im englischen Original tausendzweihundert Seiten starken Walfischs ist bei einer der interessantesten hiesigen Verlagsneugründungen der letzten Zeit, Carcosa, in Vorbereitung.

Bei allem wechselgesichtigen Okkultismus ist Alan Moore übrigens nie ein Dunkelmann gewesen; sein schmales, wertvolles essayistisches Schaffen (vor allem die Abhandlung „25 000 Years of Erotic Freedom“ aus dem Jahr 2009) etwa ist ebenso gekennzeichnet von Zugänglichkeit, Vernunft, Werben um Verständnis und unprätentiösem Humanismus wie der Rat, den er bei der BBC neulich allen an der Macht des Wortes Interessierten gab: Wenn Sie irgendwann schreiben können, seien Sie gescheit, „schreiben Sie niemals ‚Mein Kampf‘!“. Heute wird Alan Moore siebzig Jahre alt.

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