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#„Corona ist schuld an meiner Ehe“

„„Corona ist schuld an meiner Ehe““

Es ist noch nicht lange her, da durfte Afsana Akter das sein, was sie war: halb Kind, halb Jugendliche. Sie ging zur Schule, traf dort ihre Freundinnen und genoss die gemeinsamen Momente, die das Leben in ihrem Slum in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, für ein paar Au­genblicke in den Hintergrund rückten. Vor allem an Kanamachi („blinde Fliege“) denkt sie gern zurück.

Bei diesem Spiel, das in ih­rer Heimat weit verbreitet ist und dem deutschen Pendant „Blindekuh“ äh­nelt, werden einem Kind die Augen verbunden. Die „blinde Fliege“ muss die Freunde, die um einen herumstehen, fangen, wobei diese den Kreis immer mehr weiten, um zu entkommen. Hat die „blinde Fliege“ jemanden erwischt und den Na­men des Gefangenen erraten, wird dieser selbst zur Kanamachi, und der Fänger ist erlöst.

Afsana träumte damals davon, eines Ta­ges Ärztin zu werden. Es war ein Traum, der im Slum ohnehin nie wahr wird – und in der Pandemie schon vorzeitig an der Realität zerschellt ist. Als der Lockdown kam, verloren Afsanas Eltern den Job. Ihr Vater konnte keine Rikscha mehr fahren, ihre Mutter verdiente kein Geld mehr in der Textilindustrie.

Es sollte nicht lange dauern, bis ihre Eltern der Sechzehnjährigen eine Entscheidung mitteilten, die ihr Leben radikal ändern sollte. Wir werden dich verheiraten, teilten sie ihr mit.

Ihre Kindheit endet jäh

Darauf war sie nicht vorbereitet, sagt die heute Achtzehnjährige. Sie hätte gern weiter ihre Träume verfolgt, doch von einem auf den anderen Tag war die Kindheit vorbei, das Kanamachi-Spiel und die unbeschwerten Augenblicke mit ihren Freundinnen. Die hat sie bis heute nicht wieder gesehen, vielen von ihnen erging es wie ihr, manche waren erst 14 oder 15 Jahre alt, als sie den Bund fürs Leben ein­gingen. Sie mussten wie Afsana erwachsen sein, von jetzt auf gleich.

Afsana Akter in ihrem Slum Kalyanpur in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch


Afsana Akter in ihrem Slum Kalyanpur in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch
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Bild: Tim Niendorf

Das Schicksal Afsanas ist beispielhaft für das, was während der Pandemie in ­vielen Weltgegenden im Stillen geschah. Als die Schulen in Bangladesch nach etwa anderthalb Jahren Pause wieder für den Präsenzunterricht öffneten, berichteten zahlreiche Schulleiter und Lehrer von ge­schrumpften Klassen, von Schülerinnen, die plötzlich nicht mehr im Unterricht auftauchten. Jedem, Lehrern und Schülern, ist klar, wo diese Mädchen verblieben sind: zu Hause. Auch für Afsana heißt es nun: Haushalt statt Hausaufgaben.

Dabei war die Zahl der Kinderehen vor der Pandemie weltweit merklich gesunken. Doch das Coronavirus hat viele Fortschritte zunichte gemacht. Auf dem Spiel steht auch die anspruchsvolle Agenda 2030 der Vereinten Nationen, die sich für das Jahr 2030 unter anderem eine Welt ohne Kin­der­ehen zum Ziel gesetzt hat. Noch immer soll es nach Schätzungen von UNICEF 115 Millionen Jungen und Männer geben, die als Kind verheiratet wurden. Hinzu kommen nach UN-Angaben 650 Millionen Mädchen und Frauen, die Hälfte von ihnen lebt in Brasilien, Äthiopien, Indien, Nigeria – und in Bangladesch.

Dort hat man sich ein nationales Ziel ge­setzt, nicht ganz so anspruchsvoll wie jenes der UN, aber immerhin: Im Jahr 2041, 70 Jahre nach der Unabhängigkeit, soll es in dem 160 Millionen Einwohner zählenden Land keine Kinderehen mehr geben. Und tatsächlich war die Entwicklung auch in Bangladesch vor der Pan­demie positiv. Anfang der Siebzigerjahre waren noch 93 Prozent aller Bangla­de­scherinnen vor ihrem achtzehnten Ge­burts­tag verheiratet worden, kurz vor Co­rona waren es noch 51 Prozent. Die Betroffenen leben mehrheitlich auf dem Land oder in Slums und stammen aus ar­men Verhältnissen, so wie Afsana. Dass die Ehen ihre Kindheit vorzeitig beenden, lässt sich an Zahlen zeigen. Jede zweite dieser jung verheirateten Frauen gebärt vor dem achtzehnten Geburtstag das erste Kind, acht von zehn werden vor dem zwanzigsten Geburtstag Mutter. Und auch die Wahrscheinlichkeit, vorzeitig die Schule zu verlassen, ist bei ihnen viermal so hoch wie bei anderen.

Gesetze können die Kinderehen nicht verhindern

Um dem entgegenzuwirken, hat die Re­gierung von Bangladesch vor fünf Jahren ein Gesetz verabschiedet, wonach Frauen erst mit 18 und Männer erst mit 21 Jahren heiraten dürfen. Das konnte den drama­tischen Anstieg der Kinderehen während der Pandemie jedoch nicht verhindern. Um einen zweistelligen Prozentsatz soll sich die Anzahl erhöht haben, heißt es – und Tausende junge Mädchen wurden Opfer ei­nes kriminellen Akts.

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