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#Das gerettete Kulturerbe der Jeckes

Das gerettete Kulturerbe der Jeckes

Wertheimers waren eine alteingesessene, gutsituierte Kippenheimer Familie. Dort im Schwarzwald, wo Juden seit dem siebzehnten Jahrhundert leben durften, handelte der Vater mit Getreide. Den Ersten Weltkrieg verbrachte er an der Front, bei Verdun verlor er ein Bein. Nach Einführung der NS-Rassengesetzgebung 1935 entschloss er sich, mit seiner Familie Deutschland zu verlassen. Er stand vor der Entscheidung, nach Amerika oder nach Palästina auszuwandern. „Unsere Familie war nicht zionistisch“, schrieb sein Sohn Stefan Wertheimer Jahre später. Der Vater habe sich dann für Palästina entschieden, vor allem weil die britische Mandatsregierung die Mitnahme von Fabrikmaterial erlaubt habe.

Jochen Stahnke

Jochen Stahnke

Politischer Korrespondent für Israel, die Palästinensergebiete und Jordanien mit Sitz in Tel Aviv.

Als die Einwandererfamilie nach Tel Aviv kam, war Stefan Wertheimer zehn Jahre alt. So wie viele deutschsprachige Einwanderer in Israel erzählte Wertheimer, wie er von den damaligen vornehmlich aus Osteuropa stammenden Juden nicht immer akzeptiert worden sei. Die Kleidung, der Akzent, die vermeintliche bildungsbürgerliche Hochnäsigkeit störten manche anderen. Wertheimer war ein „Jecke“, wie man die deutschsprachigen Einwanderer manchmal nannte, vielleicht weil sie auch im Nahen Osten noch ihre feinen Jacketts trugen. Im paramilitärischen Palmach kürzte Wertheimer seinen Vornamen in Stef ab, aber hebräisierte ihn nie. Dabei diente der deutsche Einwanderer und Flüchtling dem hebräischen Staat wie wenige andere. Stef Wertheimer gründete 1952 die Industriemaschinenfirma Iscar. Er half Israel, sich zu industrialisieren. Die Wertheimers wurden eine der reichsten Familien des Landes. Irgendwann übertrug Stef die Geschäfte seinem Sohn. Eitan verkaufte Iscar an den amerikanischen Investor Warren Buffett, der die Fabrik aber im Industriepark Tefen weit in der israelischen Peripherie an der libanesischen Grenze beließ.

Das findet man heute nirgends mehr

In einem Gebäude des Industrieparks ließ Stef Wertheimer ein Museum der Geschichte der deutschsprachigen Juden unterbringen. „Er hat immer gesagt, er macht das auch für seine Eltern“, sagt die Kuratorin Ruthi Ofek, die das Museum über viele Jahre geleitet hat. „Auch für die Kinder, damit die Leute wissen, was die Jeckes eigentlich für den Staat Israel getan haben. Das war ihm schon wichtig.“ Die Kaffeehauskultur, die Gründung von Zeitungen, Architektur, fertigende Industrie, das Gerichtswesen. „Die Juden aus dem Osten haben sich immer lustig gemacht über die Kultur der Jeckes – über das Anziehen, über die Kultur.“ Aber ohne die fünfte Einwanderungswelle, ebendie der Jeckes, wäre Israel wohl nicht, was es heute ist.

„Die Sachen, die man hier hat, das findet man heute nirgends mehr, auch nicht in Deutschland“, sagt Ofek. Tausende alte Briefe und Korrespondenzen liegen im Archiv der Jeckes. Mehr als siebzig Prozent davon wurden bereits digitalisiert und sind auch in der Jerusalemer Nationalbibliothek gespeichert. Ofek zieht einen Brief aus einem Karton im verbunkerten alten Archiv. Er ist von 1929, ein Medizinstudent aus Königsberg bittet um Entschuldigung, dass er sich so lange nicht gemeldet habe, und fragt, wie es um die Aktivitäten der zionistischen Vereinigung in Danzig bestellt sei, ob die Gedichtabende noch stattfänden.

Auch Wertheimer hatte so eine Einraumhütte bewohnt

„Das Museum haben wir unter uns, aber nie offiziell Jeckes-Museum genannt“, erzählt Ofek. „Stef hat immer gesagt, mit einem Schimpfwort bezeichnet man kein Museum. Heute ist Jecke eigentlich ein Kompliment, es steht für Ehrlichkeit.“ Das Projekt begonnen hatte der in Berlin geborene Bibliothekar Hans Herbert Hammerstein, der sich in Israel in Yisrael Shiloni umbenannte und in der maßgeblich von deutschen Juden gegründeten Stadt ein „Museum der deutschen Judenheit“ aufbaute. Im Jahr 2005 zog das Museum in den Industriepark Tefen um, wo sich bald auch die Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft anschloss. Nahezu alle Exponate und Archivmaterialien sind Schenkungen, sagt Ofek. „Die Leute sind stolz, die Gegenstände ausgestellt zu sehen, die ihre Familien aus den deutschsprachigen Teilen Europas mitgebracht haben“, so Wertheimer in seiner Autobiographie.

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