Nachrichten

#„Das Schweigen kann ich mir nicht verzeihen“

„„Das Schweigen kann ich mir nicht verzeihen““

1968, als Studenten auf der ganzen Welt gegen den Vietnam-Krieg demonstrierten, gingen Sie zur Bundeswehr. Wieso haben Sie nicht verweigert?

Livia Gerster

Redakteurin in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Ich bin kein Pazifist.

Aber Sie waren Maoist. Findet man da die Bundeswehr etwa gut?

Ich habe das nicht groß hinterfragt. Ich wollte da nicht hin, aber ich wollte auch nicht verweigern. Wir hatten im Ort einen sehr aktiven evangelischen Pfarrer, der die Kriegsdienstverweigerer beraten hat. Das war nicht mein Ding. Der Pazifismus hat mich nie überzeugt, obwohl man natürlich als Christ im Herzen ein Pazifist ist. Man braucht nur die Passionsgeschichte zu lesen. Als ein Knecht des Hohepriesters Jesus gefangen nehmen will, schlägt ihm ein Jünger das Ohr ab. Jesus aber heilt das Ohr und erklärt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!” Unsere Situation ist aber eine andere: Wir sind von dieser Welt. Deshalb habe ich mit Waffenlieferungen an die Ukraine kein moralisches Problem. Mit Hurra in den Krieg zu ziehen ist für einen Christen undenkbar. Aber die Ukraine ist überfallen worden – hier geht es um Selbstverteidigung. Dabei müssen wir ihr helfen. Für meine Partei ist das eine schwierige Lage, weil sie starke Wurzeln in der Friedensbewegung hat. Das trifft auf mich jetzt nicht zu. Ich darf daran erinnern, dass Uschi Eid und ich die einzigen prominenten Grünen waren, die gegen die Abschaffung der Wehrpflicht waren.

Sind Sie in den Achtzigerjahren etwa nicht gegen den NATO-Doppel­beschluss auf die Straße gegangen?

Doch, bei der Bonner Hofgarten-Demonstration 1983 war ich dabei. Ich will unterscheiden: Ich war zwar kein Pazifist, aber ein Atom-Pazifist war ich schon. Vom atomaren Abschreckungsprinzip habe ich nichts gehalten, es war für mich eine Abschreckung mit Selbstmorddrohung. Als Annalena Baerbock sich kürzlich so klar zur atomaren Abschreckung der NATO bekannt hat, da bin ich kurz zusammengezuckt. Die Existenz von Atomwaffen hat eine Fatalität in die menschliche Gattung gebracht, über die wir nicht hinwegkommen. Wenn Militärexperten erklären, wie dem Einsatz taktischer Atomwaffen zu begegnen wäre, spürt man: Kein Mensch kann dazu belastbare Aussagen machen. Das überschreitet schlichtweg die Grenzen der menschlichen Vernunft. Atomare Abschreckung bleibt prekär, aber solange Atomwaffen in der Welt sind, ist sie nicht zu vermeiden.

Als Robert Habeck im vergangenen Sommer Waffen für die Ukraine ­forderte – was dachten Sie da?

Ich dachte, er hat völlig recht.

F.A.Z. Frühdenker – Der Newsletter für Deutschland

Werktags um 6.30 Uhr

ANMELDEN


Aber gesagt haben Sie es nicht.

Nein, und dieses Schweigen kann ich mir nicht verzeihen. Ich lege mich durchaus auch mal mit meiner Partei an, wenn ich es für nötig halte. Aber in diesem Fall dachte ich, als Landespolitiker muss ich mich in außenpolitische Debatten nicht einmischen. Man wusste, was der Putin schon alles getrieben hat, in Grosny, in Aleppo, auf der Krim. Und man sah die Kämpfe am Donbass. Und trotzdem wurde Robert Habeck für die Forderung nicht nur aus der eigenen Partei scharf kritisiert und musste dann zurückrudern. Da zeigte sich die verlogene Seite des Pazifismus.

Seitdem haben die Grünen ihren Kurs so radikal geändert, dass manche nicht mehr mitkommen. Plötzlich beten sie Waffensysteme herunter wie vorher bedrohte Tierarten. Sind Sie von Ihrer Partei überrascht?

Ich bin überrascht von der Geschwindigkeit und Klarheit in der Diskussion. Aber im Kern haben wir schon 1999 mit Joschka Fischer angesichts des Kosovo-Kriegs entschieden, dass es unsere Verantwortung ist, uns einzumischen, wenn es mitten in Europa zu schwersten ­Menschenrechtsverletzungen kommt. Jetzt ist die Klärung, glaube ich, end­gültig.

Vielen macht dieser Spontan-Bellizismus aber Angst. Müssen nicht auch diejenigen Gehör finden, die Bedenken gegen Waffenlieferungen haben?

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!