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#Das Strenge und das Spielerische

„Das Strenge und das Spielerische“

Eine Vulva in Nahaufnahme, die Weite des Sternenhimmels vom Flugzeugfenster aus gesehen, ein Handy, das an einer Wasserflasche lehnt: Alles kann zum Gegenstand der Neugier von Wolfgang Tillmans werden. Die Werkschau, die das New Yorker Museum of Modern Art dem 1968 in Remscheid geborenen Künstler widmet, zeigt die ganze Bandbreite seines Schaffens – und dazu gehören nicht nur Fotografien, sondern auch Videos, Musik und die Installation „Truth Study Center“. Die Ausstellung belegt den gesamten sechsten Stock des MoMA. Angekündigt wurden 350 Werke, 417 sollen es letztlich geworden sein – umfangreicher wurde Tillmans in New York noch nie gezeigt. „To Look Without Fear“ – ohne Angst zu schauen oder hinzuschauen – solle auch eine Einladung zum immer wieder unverstellten Hinsehen sein, sagt der Künstler im Gespräch.

Seine Schau ist nicht die einzige große Ausstellung deutscher Fotografen, die momentan in New York läuft. Denn es präsentiert das Metropolitan Museum die postume Retrospektive der Arbeiten von Bernd und Hilla Becher. Die in den Kanon der modernen Fotografie eingegangenen Serien von Industriedenkmälern, die in mehr als vierzig Jahren entstanden, hängen in streng angeordneten Gruppen, die erst auf den zweiten Blick ihre Vielfalt und Lebendigkeit offenbaren. Bilder der Concordia Kohlezeche in Oberhausen belegen eine Galerie, eine Kollektion von Wassertürmen aus fünf unterschiedlichen Ländern umspannt fast zwei Jahrzehnte. Die Ausstellung zu Ehren der 2007 und 2015 verstorbenen Begründer der Düsseldorfer Fotoschule umfasst mehr als 400 Werke.

Ursprung und Zukunft: Wolfgang Tillmans’ „Lutz & Alex sitting in the trees“, 1992.





Bilderstrecke



Deutsche Fotografie in den USA
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Nackte Menschen im Urwaldgrün und nackte Wassertürme in Schwarzweiß

Wo die Bechers eine wiedererkennbare formale Bildsprache entwickelten, kennt Tillmans für seine Fotografien weder im Inhaltlichen noch im Formellen irgendwelche Beschränkungen. Alles kann für ihn zum Motiv werden, und nicht nur sein Umgang mit der Welt ist sehr offen – seine Haltung spiegelt sich auch in der Hängung der Arbeiten wieder. Die Fotos sind zum Teil mit Klebestreifen an den Wänden befestigt, einige hängen an Türen, rund um das Notausgang-Schild. Das „Truth Study Center“, die Installation auf Tischen unter Glas, entwickelte er seit 2005 stets weiter – nun finden sich in den collagenhaft angeordneten Zeitungsartikeln, Pamphleten und wissenschaftlichen Schriften, die sich mit der Suche nach Wahrheit auseinandersetzen sollen, auch Verweise auf Wladimir Putin und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. In den vergangenen Jahren sei seine Kunst noch politischer geworden, weil die demokratischen Werte akuter bedroht seien als zuvor schon, sagt Tillmans.

Die amerikanische Kritik reagiert auf beide Ausstellungen überwiegend mit Begeisterung. Für die „New York Times“ etwa zeigen die Fotografien der Bechers „köstliche Besessenheiten“. Die Indus­triedenkmäler würden aus ihrer Banalität in eine Besonderheit gehoben, die ihnen zugleich eine Leichtigkeit im Kontrast zu ihrer Funktion verleihe. Eine „faszinierende, offen gesagt wunderschöne“ Schau sei zu sehen, in der die Fotos „die Seele beruhigen“, schwärmt Blake Gopnik in der „Times“. Das „Wall Street Journal“ begeistert sich für die Disziplin der Fotografien, die der Kunstkritiker Joseph Masheck einmal als „puritanischen Romantizismus“ bezeichnete. Auch regionale Medien wie „Brooklyn Rail“ empfehlen die Ausstellung – dort erinnert sich Kunstkritiker und Fotograf James Welling an eine Begegnung mit Hilla Becher, die ihn 1973 gebeten habe, mit ihr zu kalifornischen Ölraffinerien zu fahren, die sie am Ende aber nicht fotografiert habe. Welling, der an der Universität Princeton lehrt, betont auch den Einfluss der Bechers auf amerikanische Fotografen.

Köstliche Besessenheiten zeigen alle drei

Den großen Einfluss der beiden Landsleute unterstreicht im Gespräch auch Tillmans, dessen Schau bei vielen amerikanischen Kritikern ebenfalls Enthusiasmus hervorruft. Er erwähnt auch, dass eine Ausstellung in New York deswegen etwas ganz Besonderes sei, weil das Publikum hier ein hingebungsvolles, aber auch besonders kritisches sei – New Yorker gingen sehr gezielt zu Ausstellungen, und das breite Angebot mache sie zu wählerischen Besuchern. Gleiches gilt wohl für die Kulturjournalisten. Die „New York Times“ attestiert Tillmans, „älter, weiser, cooler“ geworden zu sein – so sieht es zumindest Kritiker Matthew Anderson.

Ihm widerspricht Jason Farago in der „Times“. Er empfindet die Schau in Teilen als „moralistisch“, womit oftmals politisch gemeint ist. Das „Truth Study Center“ erscheint Farago „preachy“, oberlehrerhaft. Die digitale Fotografie habe Tillmans zudem „nur mit moderatem Erfolg“ adaptiert. Farbgesättigte Großformate einer Straße in Schanghai oder eines argentinischen Armenviertels seien zu perfekt und „künstlich distanziert“. Party-Fotos mit der Digitalkamera seien im Zeitalter der Online-Bilderflut einfach „redundant“ und einige „wirklich furchtbar“, meint Farago.

Die digital entstandenen Werke sind für Tillmans selbst freilich eine logische, gegenwartsorientierte Fortsetzung seiner Kunst, die schon immer in mehr als einem Medium zu Hause war. Faragos Kritik wird indessen zum Verriss: Jeder werde älter, ätzt er, Tillmans’ Kunst aber sei zur „Selbstgerechtigkeit“ geronnen. Ein bei Farago ohne präzise Begründung bleibender Vorwurf, der politischer Kunst aller Sparten regelmäßig gemacht wird.

Wolfgang Tillmans – To Look Without Fear. Im Museum of Modern Art, New York; bis 1. Januar. Der Katalog kostet im deutschen Buchhandel 49 Euro.

Bernd & Hilla Becher. Im Metropolitan Museum of Art; bis 6. November. Anschließend vom 17. Dezember bis 2. April im San Francisco Museum of Modern Art. Der Katalog ist im Verlag Schirmer/Mosel erschienen und kostet in Deutschland 58 Euro.

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