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#Demokratische Entscheidung zum Massenstart

„Demokratische Entscheidung zum Massenstart

„Ich stimme für den Aufbruch!“ In den Kolonien der bei uns heimischen Dohlen wird morgens offenbar lautstark darüber abgestimmt, wann die Gemeinschaften aus Hunderten von Vögeln aufbrechen sollen. Dies geht aus einer Untersuchung des Dohlengeschreis im Verlauf des Morgengrauens hervor. Außerdem konnten die Forscher die „gefiederten Demokraten“ durch „akustischen Wahlbetrug“ zu einem verfrühten Massenstart bewegen.

Eine zierliche Gestalt, silbrig-blaue Augen und eine laute Stimme: Das sind die Markenzeichen unseres kleinsten heimischen Vertreters der Rabenvögel. Wer Dohlen (Corvus monedula) als Nachbarn hat, weiß: Diese in Sozialverbänden lebenden Vögel sind ausgesprochen „geschwätzig“. Manchmal drängt sich regelrecht die Frage auf, was sie sich wohl zu erzählen haben oder gerade aushecken. Studien haben bereits bestätigt, dass sich Dohlen über ihre Laute komplexe Informationen vermitteln. Die aktuelle Untersuchung der Forscher um Alex Dibnah von der University of Exeter zeigt nun auf, dass sich die Vögel offenbar auch buchstäblich abstimmen können.

Koordiniert wirkende Abflüge

Im Visier des Teams stand dabei ein typisches Gruppenverhalten der Dohlen im Winterhalbjahr: Nachdem sie die Nacht in Bäumen verbracht haben, brechen die Gemeinschaften von manchmal über tausend Vögeln meist gleichzeitig zu ihrem „Tagwerk“ auf. Die Gemeinschaften sind dabei nicht nur groß, sondern umfassen auch Individuen unterschiedlichen Alters, Geschlechts sowie verschiedene Untergruppen. „Jede Dohle hat wohl eigentlich eine etwas andere Vorliebe dafür, wann sie abfliegen will, was von Faktoren wie ihrer Größe und ihrem Hunger abhängt“, sagt Dibnah. „Einen Konsens zu finden, erscheint jedoch sinnvoll. Denn das gemeinsame Verlassen des Schlafplatzes bietet verschiedene Vorteile, darunter den Schutz vor Raubvögeln und den Zugang zu Informationen über Nahrungsquellen“, erklärt der Forscher.

Um dem Verdacht nachzugehen, dass eine Art Abstimmung zu dem gemeinschaftlichen Aufbruch führt, haben Dibnah und seine Kollegen im Laufe der Wintermonate umfangreiche Audio- und Videoaufnahmen von sechs verschiedenen Dohlenschlafplätzen in Cornwall angefertigt. So konnten die Wissenschaftler den Verlauf der Abflüge genau dokumentieren und untersuchen, inwieweit sich das Geschrei in den bis zu rund 1500 Individuen umfassenden Nacht-Kolonien vor den Massenstarts verändert.

Zunächst zeigte sich: Tatsächlich brechen die Vögel meist gemeinschaftlich auf – in einem Abstand von nur etwa vier Sekunden voneinander erheben sich dabei hunderte von Individuen in die Luft. Diese Abflüge fanden in der Zeit von 45 Minuten vor Sonnenaufgang bis 15 Minuten danach statt. Regen und starke Bewölkung verzögerten den Abflug dabei tendenziell, stellten die Forscher fest. Wie aus den Auswertungen der Tonaufnahmen hervorging, kam es vor dem Aufbruch stets zu einem deutlichen Anstieg der gemeinschaftlichen Stimmgewalt. Darin spiegelte sich wider, dass sich mehr Individuen „äußerten“. Dies interpretierten die Forscher als einen Hinweis darauf, dass die Dohlen buchstäblich ihre Stimme abgaben, um einen synchronisierten Abflug der Gemeinschaft zu ermöglichen. Bemerkenswert war auch, dass die Vögel in den wenigen Fällen, in denen sich die Intensität der Rufe nicht ausreichend steigerte, offenbar keinen Konsens erzielten. Infolgedessen flogen sie „tröpfchenweise“ statt auf einmal ab.

Experimenteller „Wahlbetrug“

Doch bis dahin blieb unklar, was Ursache und Wirkung ist, und so führten die Forscher ein klärendes Experiment durch: Sie platzierten in den Schlaf-Bäumen einer der Dohlen-Gemeinschaften Lautsprecher, über die sie am Morgen Aufzeichnungen von Rufen abspielten. Dabei zeigte sich: Durch die künstliche Erhöhung der Stimmgewalt brachen die Vögel im Durchschnitt rund sieben Minuten früher auf. Wenn die Forscher zur Kontrolle Windgeräusche abspielten, war das hingegen nicht der Fall. Somit bestätigte sich: „Durch ihre Rufe scheinen Dohlen effektiv ihre Bereitschaft zum Aufbruch zu signalisieren und der Gemeinschaft ein Mittel zur Verfügung zu stellen, um einen Konsens zu erzielen, damit sie zusammenhängende, gemeinsame Abflüge vom Schlafplatz durchführen können“, schreiben die Forscher.

„Es zeichnet sich ab, dass ähnlich wie beim Menschen auch bei Tieren Entscheidungsprozesse in Gruppen genutzt werden können, um individuelle Unterschiede zu überwinden und eine Art ‚demokratischen‘ Konsens zu erreichen“, resümiert Senior-Autor Alex Thornton von der University of Exeter. Diesem spannenden Forschungsthema wollen er und seine Kollegen nun auch treu bleiben: Sie planen, den cleveren Rabenvögeln auch weiterhin genau zuzuhören, um mehr Details ihres komplexen Kommunikationssystems aufzudecken.

Quelle: Cell Press, University of Exeter, Fachartikel: Current Biology, doi: 10.1016/j.cub.2022.04.032

Video: Eine Gemeinschaft von Dohlen startet im Verband. © Dibnah et al./Current Biology

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