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#Der kaputte Osten und der Sex

Nicht an den selbstgefälligen Moralisten aus den schwarzen Wäldern, an Bertolt Brecht, denkt Florian Havemanns Schriftsteller-Erzähler bei „B.B.“, sondern an den Sex-Star des Nouvelle-Vague­-Kinos, der in Jean-Luc Godards Meisterwerk „Die Verachtung“ nackt auf einem Bett liegt, „ihren wundervollen Hintern zeigend, ihren Arsch, und ich sage hier Arsch, weil Brigitte Bardot ihre Pobacken, wie es in den deutschen Untertiteln heißt, in der französischen Originalfassung als fesse anspricht“. Allerdings ist „fesse“ eben nicht „cul“, da ist „Hintern“ schon ganz richtig. Er hat uns vorgewarnt, der Erzähler: „Ich bin ein Mann, der Fehler macht.“ Hier also ist schon einer, ein kleiner, zugegeben, aber ein vielsagender, denn was den Schriftsteller hier die Backen der Derbheit erklimmen lässt, ist seine Erotomanie, die ihm einfach immer dazwischenkommt. So gut wie jeden erzählerischen Anlauf in diesem so maß- wie formlosen Roman biegt sie fatal in Richtung Lenden um.

Dass sich ein längerer Exkurs mit ­Godards Film befasst, der von der wachsenden Verachtung der von der Bardot gespielten Schauspielerin für ihren Ehemann handelt, aber in erster Linie über das Filmemachen reflektiert, hat seinen guten Grund. Etwas ganz Ähnliches hat Havemann respektive sein zwischen­geschalteter Icherzähler mit seinem nie über den Fragment-Status hinausgelangenden Roman „Bankrott“ ebenfalls im Sinn. Sogar die Entfremdungshandlung wird gespiegelt, auch wenn diesmal die Frau, die schöne, egozentrische Marina mit „Hang zum billigen Kitsch“ („Polin bleibt Polin“), die per Annonce einen Millionär gesucht, geheiratet und ver­achtet hatte – den noch viel ego­zentrischeren Bauunternehmer Taff –, zu­letzt die Gedemütigte ist.

Die schöne Marina und ihr verarmter Goldesel

Wie der Film bespielt das Buch zwei Ebenen zugleich, berichtet also aus der Sicht eines Schriftstellers in repetitiven Passagen über die poetologischen und editorischen Probleme beim Schreiben eines Romans. Dieser Roman wiederum soll sich vorgeblich an der Realität orientieren, an der nicht sehr aufregenden Lebensgeschichte des mit dem Erzähler befreundeten Taff (der ein wenig nach dem Umzugsunternehmer Klaus Zapf modelliert wurde). Taff hatte im Brandenburgischen eine florierende Firma aufgebaut, konnte aber eine hohe Steuernachforderung nicht zahlen und ging pleite. Die Boulevardpresse spießte den Fall auf, zumal die schöne Marina ihren verarmten Goldesel verließ. Der bislang erfolglose Schriftsteller – wie Havemann aus dem Osten kommend, im Westen aufgewachsen und nun in Berlin lebend – wittert seine Chance, aus diesem Bankrott des Macho-Westlers im Osten erzählerisch Gewinn zu schlagen, wozu er die abgekühlte Be­ziehung zu Taff wieder aufwärmt.

Die Binnenhandlung, Taffs Geschichte, füllt nicht einmal die Hälfte des voluminösen Buchs. Der Rest ist den kursorischen Gedanken und in­timen Erinnerungen des Erzählers gewidmet. Literatur versteht der nicht als Dienst am Schönen, Wahren, Guten: „Für mich ist das Schreiben parasitär, der Schriftsteller ein Parasit, ein Voyeur bloß des Lebens anderer, ein Feigling.“ In den besseren Momenten scheint sich die in die eigene Post-Pop-Attitüde der radikalen Ehrlichkeit verliebte Er­zählung ins Gesellschaftsanalytische zu weiten, so holzschnittartig die Befunde sind: „Als ob es im Osten jemals Solidarität gegeben hätte, jeder gegen jeden, Denunziation, das war doch ein Volkssport im Osten, heute erzählen natürlich alle was anderes.“ Die Verachtung richtet sich überhaupt vor allem auf Ostdeutschland; insbesondere der zynische Taff, ein körperlich unansehn­licher Berserker mit unbegrenzter Potenz, hält die neuen Länder für eine Art Puff der Dummen („Mieses Pack, Opportunisten, die ihr Ressentiment pflegen“), in dem er sich aufführt wie ein Alleinherrscher.

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