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#Der Ökonom, das böse Buch und die Cancel Culture

Der Ökonom, das böse Buch und die Cancel Culture

An Universitäten wird derzeit viel über die sogenannte Cancel Culture und Zensur diskutiert. Nun ist ein neuer Fall zu verzeichnen: Ein Vortrag des renommierten Wirtschaftshistorikers Gregory Clark an der Adam Smith Business School der schottischen Universität Glasgow wurde abgesagt, weil sich Clark weigerte, den Titel des Vortrags zu ändern. Darin fand die Uni-Leitung eine Anspielung auf ein umstrittenes Buch, das an der Hochschule nicht erwähnt werden solle. Der Titel der Vorlesung sollte lauten: „For Whom the Bell Curve Tolls: A Lineage of 400.000 Individuals 1750–2020 Shows Genetics Determines Most Social Outcomes“. Auf Deutsch übersetzt: „Wem die Glocken-Kurve schlägt: Eine Abstammung(-sanalyse) von 400.000 Individuen aus der Zeit 1750 bis 2020 zeigt, dass die Genetik die meisten sozialen Ergebnisse bestimmt.“

Philip Plickert

Aus Sicht des Dekans der Glasgower Business School war der Titel eine Anspielung auf das Buch „The Bell Curve“ des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Charles Murray und des Harvard-Psychologen Richard Herrnstein, das Mitte der neunziger Jahre eine scharfe Kontroverse auslöste, weil Murray und Herrnstein darin über die Verteilung und Vererbbarkeit von Intelligenz sowie IQ-Unterschiede zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen schrieben. Dies wurde als rassistisch skandalisiert. Gegen Clarks Vorlesung in Glasgow erhoben nun einige Soziologen und Studenten Einspruch. Clark, der Professor an der Universität von Kalifornien in Davis ist und auch als Gastprofessor an der London School of Economics lehrt, wurde vom Glasgower Dekan gedrängt, die Worte „Bell Curve“ (Glocken-Kurve) aus dem Titel zu streichen.

Neue Debatte über Zensur an Hochschulen

Der Vorfall hat in der Wissenschaftsgemeinde in Großbritannien und Amerika und in Medien eine neue Debatte über Zensur an Hochschulen angefacht. Erst vor kurzem hat die Regierung ein Strategiepapier für Meinungsfreiheit und gegen die „Cancel Culture“ an Universitäten vorgelegt. Ausgeladene Dozenten sollen Schadenersatz verlangen können.

Gegenüber der F.A.Z. erklärte Clark: „Ich nehme den Titel nicht so wichtig, aber ich weigere mich, dass mir ein akademischer Verwalter diktiert, welche Worte ich verwenden darf.“ Daraufhin sei die Vorlesung ganz gestrichen worden. Als Erste hatte die Zeitung „The Times“ in einem großen Artikel über den Vorfall berichtet. Sie sieht ihn in einer längeren Reihe von Vortragsabsagen – teils auf Druck von politischen Gruppen. Clark wurde vorgeworfen, er verwende eine „eugenische“ Argumentation. Ein Sprecher der Universität Glasgow sagte, die Vorlesung sei nur „verschoben“ worden. Der an der Hoover Institution der Universität Stanford forschende Historiker Niall Fergusson kommentierte den Fall auf Twitter mit den Worten „Greg Clark einen ‚Eugeniker‘ zu nennen ist grotesk. Er ist ein brillanter und origineller Wirtschaftshistoriker, dessen Buch ich stark empfehle.“

Gregory Clark


Gregory Clark
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Bild: University of California

Vor einigen Jahren hatte Clarks wirtschaftshistorische Studie „A Farewell to Alms“ (Abschied von Almosen) in der Wissenschaft Aufsehen erregt. Er verbindet in dieser großen Wirtschaftsgeschichte demographische Studien mit Innovations- und Humankapitalfragen sowie Aspekten von Max Webers Arbeitsethik-Thesen und darwinistischen Gesellschaftsmodellen. Sein nächstes Buch „To Whom The Bell Curve Tolls“ (was auch an Hemingways Erzählung „Wem die Stunde schlägt“ erinnert) basiert auf acht Jahren Forschungsarbeit und analysiert beruflich-materiellen Erfolg von Familien aus unterschiedlichen Ethnien. Clark hat dafür Daten von fast einer halben Million Menschen ausgewertet und kommt zum Schluss, dass Erbgut eine größere Rolle spiele als vielfach angenommen. Wie Clark gegenüber der F.A.Z. erklärte, wurde ihm von der amerikanischen National Science Foundation eine Finanzierung für seine Forschung und Datenarbeit verweigert, weil er genetische Faktoren untersuche.

Die Absage des Vortrags sieht der 67-jährige Ökonom als exemplarischen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. „Die Cancel Culture ist für die Sozialwissenschaften inzwischen ein großes Problem, weil sie eine erhebliche Schieflage bewirkt, was noch veröffentlicht wird, welche Forschung noch erlaubt ist und welche Themen die Leute auswählen“, sagte Clark der F.A.Z. Es gebe eine „Bias“ (Schieflage) zugunsten von Forschung, die aussagt, dass soziale Ergebnisse durch die Politik gut beeinflussbar seien.

In der angelsächsischen Welt haben Fälle von Cancel Culture zuletzt stark zugenommen. In Großbritannien traf es mehrfach feministische Historikerinnen oder Autorinnen wie die Oxford-Historikerin Selina Todd, die nicht mit der „Gender-Theorie“ konform gehen. Aber auch der bekannte atheistische Evolutionsbiologe Richard Dawkins wurde von einem Vortrag an der Uni Dublin ausgeladen, nachdem islamkritische Äußerungen bekannt geworden waren. Die Universität Edinburgh hat vergangenes Jahr den Aufklärungsphilosophen David Hume aus dem 18. Jahrhundert „gecancelt“, nachdem eine Gruppe Studenten wegen einer Fußnote in einem Essay über die angebliche „natürliche Inferiorität“ von Schwarzen protestiert hatte. Der Name des Philosophen und Ökonomen, der mit dem „Vater der Marktwirtschaft“, Adam Smith, befreundet war, wurde daraufhin von einem Gebäude entfernt.

Clark, der aus Schottland stammt, sieht die Errungenschaften der Aufklärung mittlerweile in Gefahr: „Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Universität Glasgow einst das Zentrum der schottischen Aufklärungsbewegung im 18. Jahrhundert war, die auf offenen Debatten über neue Ideen und Theorien über die Gesellschaft basierte.“ Er fügte hinzu: „Es ist auch ironisch, dass der Ort, wo ich jetzt nicht reden darf, die Stadt ist, in der ich aufwuchs.“

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