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#Der Traum von der Einzimmer-Hochhauswohnung

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Der Traum von der Einzimmer-Hochhauswohnung

An der Ecke einer teuren Moskauer Wohnstraße voller Prachtbauten im stalinschen Zuckerbäckerstil liegt ein Supermarkt. Kein Edelladen mit Importware, wie sie im Zentrum der Stadt auch überall zu finden sind, sondern ein Discounter mit grellem Licht, schriller Werbung und abends langen Schlangen vor den Kassen, weil zu wenig Personal da ist oder gerade keiner Lust hat, eine neue Kasse zu öffnen. Hier kaufen Menschen ein, die man in diesem Viertel nicht unbedingt erwarten würde: ärmlich gekleidete Rentner, die Kartoffeln und Zwiebeln in ihre Wagen laden; Männer, die sich Bier und Trockenfisch holen. Von Gentrifizierung, so scheint es, keine Spur.

Katharina Wagner

Wirtschaftskorrespondentin für Russland und die GUS mit Sitz in Moskau.

Die gibt es zwar anderswo, in Moskaus edelsten Gegenden rund um den Kreml, in denen sich das Aufkaufen alter Wohnungen und Häuser, das Renovieren und Wiederverkaufen lohnt. Aber kaum hat man den innersten Kern der Hauptstadt verlassen, sind die Wohnviertel angenehm durchmischt. Zu verdanken ist dies der chaotischen Privatisierung des Wohnungsmarkts Anfang der Neunzigerjahre: Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnten viele Russen, die ihre Wohnungen bis dahin für wenig Geld beim Staat gemietet hatten, diese für einen symbolischen Preis kaufen. Dass die Immobilien – für viele das erste wertvolle Privateigentum überhaupt – auch in den Wirren der Neunzigerjahre, trotz Währungsverfall und Hyperinflation, nicht drastisch an Wert verloren, nicht zerschmolzen wie die Ersparnisse auf der Bank, brannte sich in der Gesellschaft ein. Bis heute ist es das Ziel jedes Russen, eine Wohnung zu besitzen, spätestens zur Familiengründung. Wer mieten muss, wird mitleidig angesehen.

Am Stadtrand wird überall gebaut

Der russische Mietmarkt ist zweigeteilt: Für ausländische Geschäftsleute gibt es wenige, oft absurd teure Wohnungen mit goldenen Wasserhähnen und Brokatvorhängen in Moskau und Sankt Petersburg, die legal und offiziell gemietet werden können. Der große Rest sind Zimmer oder Wohnungen, die von privat an privat, ohne Steuern und Verträge, vermietet werden. Ein Mieter hat auf diesem Schattenmarkt keine Rechte und kann jederzeit vor die Tür gesetzt werden; in­stitutionelle Vermieter gibt es so gut wie gar nicht, da der Markt längst nicht so lukrativ ist wie der Kaufmarkt.

Deshalb nehmen junge russische Paare, die zusammenziehen wollen, lieber eine Hypothek auf und kaufen sich eine Ein- oder Zweizimmerwohnung in einem Hochhaus am Stadtrand. Seit dem Aufkommen des Hypothekenmarktes Mitte der 2000er-Jahre hat sich auf diese Weise ein erstaunlicher Trend entwickelt, der das Gegenteil zum überhitzten Immobilienmarkt der Industrieländer zu sein scheint: Immer mehr Russen können sich eine eigene Wohnung leisten. Das „Institut der urbanen Wirtschaft“, ein Moskauer Beratungsinstitut für Immobilien und Stadtentwicklung, untersucht seit 2006, wie viele russische Familien so viel Geld verdienen, dass sie für den Kauf einer 54-Quadratmeter-Wohnung und für die Hypothek nicht mehr als 35 Prozent der monatlichen Ausgaben aufwenden müssen. 2006 waren es nur 18,6 Prozent; im Jahr 2020 beinahe 56 Prozent. Aktuell muss eine Familie umgerechnet nur rund 900 Euro im Monat verdienen, um sich eine Wohnung leisten zu können.

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Wie groß die Nachfrage ist, zeigt sich am Stadtrand von Moskau: Überall schießen Hochhaussiedlungen in die Höhe, stehen Kräne in riesigen Baugruben. Fast jede Werbung an der Autobahn hat mit Wohnungskauf zu tun – entweder werden Hypotheken zu besten Bedingungen versprochen oder großartiger Wohnkomfort, grüne Innenhöfe und tolle Ausblicke aus dem 25. Stock. Auf der Website der größten Wohnbaufirma Russlands, PIK, werden allein für die Hauptstadt Dutzende neue Projekte beworben; ganze sogenannte Mikrostadtviertel entstehen, mit riesigen, schmucklosen Wohntürmen, dazwischen Kindergärten, Schulen, Polikliniken und Einkaufszentren, verkehrsgünstig an Schnellstraßen gelegen, die einen zur nächsten Metrostation bringen.

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