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#Mit Schiefertafel und Rohrstock

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Mit Schiefertafel und Rohrstock

Es ist ja nicht so, dass unsere Kinder in den vergangenen zwölf Monaten gar nichts gelernt hätten. Sie können jetzt zum Beispiel prima lüften. Und wenn sie auch die meisten Rechtschreibregeln komplett vergessen haben, vermögen sie doch die Abstandsregeln jederzeit anzuwenden, und zwar in der Schule wie zu Hause: So wissen sie, dass man Papa, wenn der gerade im Zoom-Meeting zusammengestaucht wurde, besser nicht zu nahe kommt.

Jörg Thomann

Jörg Thomann

Redakteur im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sorgt sich trotzdem. Auch der Abstand der Schülerinnen und Schüler zu den gesteckten Lernzielen nämlich ist beträchtlich, weshalb sie fordert, 2021 und 2022 müssten „Aufholjahre“ sein. Nach Monaten ohne Schulsport soll die Schülerschaft zu einer kollektiven Aufholjagd ansetzen, die, da auf zwei Jahre angelegt, kein Sprint, sondern ein Marathon, ach was, ein Ultraman sein dürfte.

Wenn also auch das Auslandsjahr für die meisten gestrichen ist, gibt es nun immerhin das Aufholjahr für alle, das dereinst für ähnlich verklärte Erinnerungen sorgen mag: Weißt du noch damals, in unserem Aufholjahr? Der Begriff klingt verheißungsvoll, auch wenn die darin formulierte Absicht erst mal eingelöst sein will – kein Kinderspiel angesichts der Tatsache, dass sich die Schulzeit für manche zuletzt eher wie ein Sabbatjahr anfühlte.

Wie aber sollen die Schüler aufholen? Häufig heißt es: mit Samstagsunterricht. Viele Lehrkräfte haben am Wochenende nur leider keine Zeit, irgendwann müssen sie ja all die im Distanzunterricht verfassten Arbeitsbögen entziffern und korrigieren. Doch in die Bresche springen könnten Pensionäre jenseits der achtzig oder neunzig. Die rücken dann zwar vielleicht mit Schiefertafel und Rohrstock an, sind aber wenigstens geimpft. Oder man setzt auch hier wieder Soldaten der Bundeswehr ein, die etwaige pädagogische Schwächen durch Autorität wettmachen würden.

Wie der Wettlauf von Hase und Igel

Angesichts des Schneckenrennens beim Impfen ahnt man indes, dass unser ganzes Land ein Aufholjahr nötig hätte. Sicher geht hierzulande Gründlichkeit vor Schnelligkeit, allerdings ging die Sache dann eben nicht nur gerade mal so, sondern gründlich daneben. Deutschlands Kampf gegen Corona gleicht dem Wettlauf von Hase und Igel: Wo auch immer das Langohr hinhopst, reckt das Virus sein stachliges Haupt. „Ick bün all hier“, ruft es, „und bün mutiert.“ Denn es ist schlau: Je mehr Hasen immer mobiler unterwegs sind, desto weniger braucht es sich selbst zu bewegen.

Doch die Literatur hilft nur bedingt weiter. Goethe hat uns nur die Lehr- und die Wanderjahre, nicht aber die Aufholjahre Wilhelm Meisters beschrieben, der beim Wandern aber auch nicht getrödelt hat. Ein anderer Meister, Bayern München nämlich, hat es hingegen gerade wieder vorgemacht und ein 0:2 gegen Dortmund aufgeholt, womit er den BVB zu einem weiteren Aufholjahr verdonnert hat. Noch etliche Aufholjahre mehr hat Schalke 04 hinter sich, wo man nun immerhin die Voraussetzung dafür schafft, irgendwann mal wieder ein Aufstiegsjahr bejubeln zu dürfen. Von Jogi Löw, der bald wieder auf dem Markt ist, sollte man jedoch besser die Finger lassen: Dessen Rücktrittsankündigung kam so plötzlich, dass man dahinter einen Masken-Deal vermuten muss.

Wo aber sind die Mentalitätsmonster vom Schlage des FCB in den Bundes- und Landesregierungen? Wie viele Aufholjahre wird Deutschland maximal aneinanderreihen dürfen? Sollten wir, statt nur aufzuholen, nicht besser gleich überholen – vielleicht sogar ohne dabei jemanden einzuholen? Walter Ulbrichts Anstrengungen in dieser Richtung allerdings waren rasch überholt, nämlich von der Realität eingeholt worden. Womit es ihm so erging wie nun womöglich den CDU-Spitzenkandidaten bei den anstehenden Landtagswahlen, die trotz einiger Aufholmonate Gefahr laufen, doch zu wenige Wähler abzuholen.

So oder so wird unser Aufholjahr kein leichtes sein. Deutsche Urlauber wird es besonders schmerzen, dass die Engländer beim Impfen uneinholbar vorne liegen und ihre Handtücher längst an den Pools auf Mallorca plaziert haben. Und den deutschen Schülern dürfte es wenig helfen, dass viele von ihnen mit den neuen Brillen, die ihnen das Übermaß an Bildschirmzeit eingebrockt hat, jetzt klüger aussehen. Bestnoten dürften sie am Ende nur dann einfahren, wenn man ihnen erlaubte, ihre Abschlussprüfungen als Selbsttests durchzuführen.

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