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#Die Erfindung der preußischen Schönheit

„Die Erfindung der preußischen Schönheit“

Am 2. September 1795 wendet sich der preußische Hofbildhauer Johann Gottfried Schadow an die Berliner Polizeibehörde, um einen Plagiatsfall zur Anzeige zu bringen. Es geht um die beiden Tonbüsten der Prinzessin Luise von Preußen, der künftigen Königin, und ihrer Schwester Friederike, die Schadow Ende Juli angefertigt und zwischenzeitlich dem Gipsgießer Beyer zum Abformen überlassen hat. Jener Bey­er, so Schadow, müsse von den Büsten mithilfe eines jungen Mitarbeiters der Hofbildhauerwerkstatt eine Wachskopie gemacht und in den Handel gebracht haben, denn bei einem Kunsthändler am Brandenburger Tor würden die Raubgüsse bereits zum Kauf angeboten, während er, Schadow, „mit dieser meiner Arbeit noch nichts verdient“ habe. Offenkundig sei der Gipsgießer der Hauptschuldige in der Sache – „und gegen diesen muss ich auch hauptsächlich um Satisfaction bitten“.

Vier Monate später ist der Fall erledigt, allerdings nicht so, wie man es heute er­war­ten würde. Eine Aktennotiz Schadows vom Januar 1796 hält fest, dass er sich mit den Beteiligten außergerichtlich geeinigt und dabei auf Strafzahlungen verzichtet hat, „da mir ja in dieser Sache kein Schaden mehr widerfahren kann“. Insbesondere der Gipsgießer Beyer scheint mit der Auslieferung aller Negativformen und Kopien der Büste sehr glimpflich da­von­ge­kom­men zu sein. Der Grund für diese Großzügigkeit liegt in dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Bildhauer und Gießer: Schadow ist auf Beyers Dienste angewiesen, wenn er seine Tonmodelle punktgenau in Marmor und andere Materialien übertragen will. Der Plagiator behält seinen düpierten Kunden, weil er über Spezialwissen verfügt, auf das dieser nicht verzichten kann.

Der Bildhauer Preußens: Johann Gottfried Schadow, Selbstbildnis um 1791


Der Bildhauer Preußens: Johann Gottfried Schadow, Selbstbildnis um 1791
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Bild: Andres Kilger/Staatliche Museen zu Berlin

Yvette Deseyve, die Kuratorin der Schadow-Ausstellung in der Alten Nationalgalerie, schildert diesen Fall im zugehörigen Katalog als Beleg für die eigenständige Qualität der beiden Büsten, die lange Zeit nur als Vorstudien für Schadows berühmte Prinzessinnengruppe angesehen wurden. Genauso gut könnte man aus der Causa Schadow vs. Beyer allerdings auch ein Ar­gu­ment gegen den Autonomiestatus al­ler drei Werke schmieden. Aus Sicht des Gipsgießers ist jedes von ihnen nur ein Aggregatzustand einer unbegrenzt reproduzierbaren künstlerischen Idee. Die Prinzessinnengruppe wird in Berlin ge­wöhnlich in Marmor in der Nationalgalerie und in Gips in der Friedrichwerderschen Kirche ge­zeigt. In der Ausstellung, die beide Originale zusammenbringt, sind sie so zwischen zwei Spiegelwänden platziert, dass ihre Vorder- und Rückseiten sich je nach Be­trach­ter­stand­punkt ins Un­endliche vervielfältigen. Wenige Meter weiter stehen die Prinzessinnen als Mi­nia­tur in Biskuitporzellan. Den Caspar-David-Friedrich-Saal schmückt ein originalgroßer Bronze-Abguss der Statuengruppe von 1906, und am Ausgang begegnet man Luise und Friederike in Gipsform noch einmal, knallbunt zeitgenössisch bemalt von Hans Peter Feldmann.

Blickt man von dieser Produktpalette auf Schadows Anfänge zurück, wird das Revolutionäre seines künstlerischen Wirkens offenbar. Im Atelier seines Vorgängers An­toi­ne Tassaert ausgebildet, nutzte er einen familiären Disput mit seinem Lehrmeister, um nach Italien durchzubrennen und dort die Antike zu studieren und seine jüdisch-katholische Geliebte Marianne Devidels zu heiraten. In Rom gewann er 1786 nicht nur den Skulpturenpreis der Accademia di San Luca, sondern lernte auch Antonio Canova kennen, dessen europäischer Stern gerade aufging. Canova hatte die Wendung vom Rokoko zum Klassizismus bereits vollzogen. Zugleich praktizierte er im großen Stil das kurz zuvor erfundene Kopierverfahren des Punktierens, mit dem sich Skulpturen maßstabgetreu reproduzieren ließen.

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