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#Die Mythen um den Suff

Die Mythen um den Suff

Alkohol ist mit unserer Gesellschaft so fest verwoben, dass ausgerechnet von denen, die in geselliger Runde nicht trinken, angenommen wird, sie hätten ein Alkoholproblem. Das Anstoßen zum Jahreswechsel ist Kult, bei Volksfesten fließt fässerweise Bier, und zu jedem Feinschmecker-Menü gehört der passende Wein. Wie konnte von allen Rauschmitteln ausgerechnet Ethanol zum Kulturphänomen werden?

Johanna Kuroczik

Redakteurin im Ressort „Wissenschaft“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Alkohol nimmt unter den Drogen eine Sonderrolle ein, ist fast schon Teil des Menschseins. Durch eine Mutation vor etwa zehn Millionen Jahren war es den Vorfahren der Menschen, Gorillas und Schimpansen möglich, Ethanol mittels eines Enzyms effektiv abzubauen, wie Forscher der University of California in Berkeley anhand von Erbgutanalysen 2015 herausfanden: So konnten unsere Ahnen vergorene Früchte vom Waldboden verspeisen, die Kalorien lieferten.

Wann wurde die „Trunksucht“ zur Schwäche?

Viele Wissenschaftler vermuten, dass Homo sapiens nicht nur sesshaft wurde, um Getreide für Brot zu pflanzen, sondern um damit Bier zu brauen. In der Rakefet-Höhle im heutigen Israel lagerten Steingefäße mit Überresten eines Gärprozesses, die vor 13.000 Jahren genutzt wurden und somit die ältesten Hinweise auf Brauerei sind. Damals lebten dort Menschen der Natufien-Kultur, für die Bier zu Festen gehörte. Auch bei den Babyloniern und im alten Ägypten wurden alkoholhaltige Getreidezubereitungen gern getrunken. Freilich unterschieden sich diese vom Lieblingsgetränk der Deutschen, enthielten etwa keinen Hopfen und auch weniger Ethanol.

Archäologen berichteten jüngst von der wohl ältesten Brauerei industriellen Ausmaßes. In Abydos, dem Sitz der frühen ägyptischen Herrscher, konnten um 3000 v. Chr. rund 22.000 Liter Bier auf einmal produziert werden. Die wurden gebraucht, um Monumente wie die Totentempel zu errichten, denn Arbeiter erhielten Bier als Lohn. Außerdem war es Teil kultureller Rituale und Festlichkeiten. „In den frühen Hochkulturen wurde Bier oder Alkohol gemeinschaftlich getrunken, vor allem von Männern und mit kultischer Bedeutung“, sagt Gunther Hirschfelder, Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg und Autor eines Buches über die Geschichte des Bieres. Alkoholkonsum, Rausch und Religion gehörten also eng zusammen. Das zieht sich durch die Geschichte – man denke an Dionysos oder Bacchus, den Gott des Weins und des Rausches der klassischen Antike, oder die vielen hundert Bibelstellen, in denen vom Wein die Rede ist.

Auf fast allen Kontinenten erfand man berauschende Getränke. Asiatische Steppenvölker tranken vergorene Stutenmilch, der Reiswein Sake wird in Japan seit rund 2000 Jahren gesüffelt, in Südamerika brauten die Inkas eine Art Bier aus Mais, und in Meso­amerika sprach man dem Pulque zu, vergorenem Agavensaft. Die Germanen tranken Met auf Honigbasis auch zu Ehren ihrer Götter. Der römische Geschichtsschreiber Publius Cornelius Tacitus schrieb im frühen zweiten Jahrhundert über die Gelage der Germanen: „Tage und Nächte durchzuzechen hat durchaus nichts Anstößiges.“ Durch solche Zeugnisse entsteht der Eindruck, im Altertum sei jedermann ständig volltrunken herumgetorkelt. Doch der täuscht. „Von der Größenordnung des Alkoholkonsums, die wir heute imaginieren, ist nicht auszugehen“, sagt Hirschfelder. Den meisten Menschen mangelte es immer wieder an Nahrung, schon die Schwankungen der Ernte verhinderten einen konstanten Alkoholfluss. Hinzu kommt: „Im gesamten Ernährungsbereich herrschte eine Hierarchisierung, von frühen Hochkulturen bis zum Bauernhof des 19. Jahrhunderts“, so Hirschfelder. Regelmäßige Exzesse waren nur der Oberschicht möglich.

Ein Mythos lautet auch, im Mittelalter hätte man in Mitteleuropa ausschließlich Alkohol getrunken, weil das Wasser so verdreckt war. Tatsächlich trank im späteren Deutschland, wer es sich leisten konnte, bis in die frühe Neuzeit tagsüber Bier, das allerdings wenig Alkohol enthielt, oder Wein, vor allem in den Städten, wo die Wasserqualität schlecht war. Doch für die städtische Unterschicht und einfache Bauern war das Hauptgetränk dennoch Wasser. Alkohol war eher eine nahrhafte Ergänzung, so aßen auch Kinder bis ins 19. Jahrhundert Biersuppe zum Frühstück.

Schon für Tacitus war die „Trunksucht“ der Germanen eine Schwäche, und bereits der Aztekenherrscher Motecuhzoma I. erließ drakonische Strafen gegen den Pulque-Konsum. Doch erst im 19. Jahrhundert wurde man sich der Gefahren des Alkohols für die Gesundheit bewusst. Ein Anlass war die sogenannte Branntweinpest: Schnaps, ursprünglich eine Arznei, wurde plötzlich in rauen Mengen gesoffen, ein Mann in Preußen genehmigte sich um 1840 im Schnitt etwa acht Liter reinen Alkohol im Jahr. Zwar tranken auch einfache Arbeiter, doch der Elendsalkoholismus war nicht so verbreitet, wie wir heute glauben, meint Hirschfelder. „Die Hauptklasse der Leute, die ungehemmt trinken konnten, waren Männer des Bürgertums, der Handwerkerschaft und besonders der Oberschicht.“ In dieser Zeit kamen die ersten Abstinenzbewegungen auf, Alkoholismus wurde von Medizinern zunehmend als schädlich und krankhaft erachtet.

Die Art, wie wir trinken, wandelt sich bis heute: Im 20. Jahrhundert trank man etwa durch die Ansprüche der Arbeitswelt eher am Abend denn über den Tag. Doch noch in den 1970er-Jahren stellten Arbeitgeber ihrem Personal Dienstbier, und in so manchem Büro war stets eine Whiskyflasche griffbereit. Welches Maß an Alkoholkonsum noch normal ist, das sieht jede Zeit anders.

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