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#Die Kunst ist frei, aber nicht schrankenlos

„Die Kunst ist frei, aber nicht schrankenlos“

„Eine Zensur findet nicht statt.“ So heißt es unmissverständlich im Grundgesetz, im Anschluss an die Erwähnung der Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit. Zensur, und gemeint ist staatliche Zensur, soll verhindern, dass der Staat Äußerungen aller vorab kontrolliert und so Freiheit von vorneherein im Keim erstickt.

Reinhard Müller

Verantwortlicher Redakteur für „Zeitgeschehen“ und F.A.Z. Einspruch, zuständig für „Staat und Recht“.

Für die Kunstfreiheit muss das erst recht gelten. Denn sie ist, ebenso wie Wissenschaft und Forschung, „frei“ – und in der Verfassung nicht mit einem Gesetzesvorbehalt ausgestattet. Das heißt aber natürlich nicht, dass sie schrankenlos gewährleistet wäre. Die Schranken der Kunstfreiheit sind in der Verfassung selbst zu suchen. Es ist also keine Zensur, wenn verfassungsfeindliche Werke von einer Ausstellung entfernt werden. Zudem geht es im Fall der Documenta, einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, ja nicht um einen Eingriff durch den Staat – immerhin aber um eine Ausstellung unter staatlicher Beteiligung samt der Eröffnung durch den Bundespräsidenten.

Volksverhetzung ist ohne Zweifel grundgesetzwidrig. Wenn bestimmte Gruppen von Menschen verächtlich gemacht werden, wenn gegen ihre Würde verstoßen wird, dann kann das nicht unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit geschehen. Aber es muss immer abgewogen werden, welches Grundrecht im Einzelfall zurückzutreten hat.

Steinmeiers Machtworte

Im Fall des Umgangs mit dem Holocaust kommt hinzu, dass das Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz gleichsam als Gegenentwurf zur NS-Herrschaft sieht, den Umgang mit dem Holocaust also besonders sensibel behandelt. Bundespräsident Steinmeier hat bei der Eröffnung der Documenta ausdrücklich auf die Freiheit der Kunst hingewiesen – aber auch auf ihre Grenzen: Eine demokratische Gesellschaft dürfe Künstler nicht bevormunden, erst recht nicht instrumentalisieren. „Politik richtet nicht über die Qualität von Kunst.“ Die Anerkennung Israels „ist bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte“, sagte das deutsche Staatsoberhaupt in Kassel.

Die Freiheit der Kunst umfasse auch die Freiheit, Israel zu kritisieren. Manche Kritik an der israelischen Politik, etwa dem Siedlungsbau, sei „berechtigt“. Doch „wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten“.

Nun nannte Steinmeier kein Werk, das die Existenz Israels infrage stellt. Zugleich erwähnte er die Schwierigkeit, zwischen heftiger, gar unsäglicher Kritik an der – teils völkerrechtswidrigen – Besatzungspolitik und Antisemitismus zu trennen. Oder ist das kaum möglich? Die generelle herabwürdigende Darstellung von Juden dürfte anders zu bewerten sein als ein Vergleich der israelischen Streitkräfte mit der Wehrmacht. Und die Darstellung einer Mossad-Figur ausgerechnet als Schwein neben Gestalten anderer Geheimdienste, die auch unfreundlich, aber eben anders dargestellt werden?

Muss man hierin die besondere Erfahrung sehen, die eben eine andere als die deutsche ist? Die Perspektive palästinensischer Opfer israelischer Politik darf gewiss auch drastisch dargestellt werden. Denn Sinn der Kunstfreiheit ist es ja auch, das Abseitige, das Unsägliche zum Thema zu machen.

Freilich ist auch hier der Kontext zu beachten: Das indonesische Kuratorenkollektiv spricht ja nicht selbst aus der Opferperspektive und hat durch (fehlende) Äußerungen seinen Anteil am Antisemitismusvorwurf. So wie es keinen Anspruch darauf gibt, dass Künstler bestimmter Nationalität zu einer Ausstellung eingeladen werden, so kann eine gezielte Exklusion auch einen Vorwurf begründen. Hier kommt jedenfalls einiges zusammen, inklusive der erst nachträglichen Installation des umstrittensten Werkes. Der Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses dankte jedenfalls Steinmeier für seine Worte, dass eine Strategie des Ausschlusses und der Stigmatisierung nicht von Feindschaft gegen Juden getrennt wird.

Der Präsident des Weltkongresses forderte kürzlich, man solle sich vom Begriff des Antisemitismus verabschieden und von Judenhass sprechen. Der Begriff „Antisemitismus“ habe seine Bedeutung verloren. Wenn man heute jemanden als Antisemiten bezeichne, würden die Leute nur mit den Schultern zucken – und er selbst auch. Wer jüdische Studenten auf dem Campus zusammenschlage oder wer sage, Israel dürfe nicht existieren, der sei ein Judenhasser.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte der F.A.Z. am Mittwoch, antisemitisch wolle keiner sein, also tarnten viele ihren Antisemitismus als Israelkritik. Dabei sei doch klar, dass Kritik an der Politik Israels erlaubt sei. Aber was ist mit einer „Kritik“ wie in dem Bild „Guernica Gaza“? Hier sei durch die Art des Vergleichs eine „rote Linie“ überschritten, sagt Schuster.

Im Unterschied zu anderen Gesellschaften führte hier das Überschreiten der roten Linie nicht zu einem unmittelbaren staatlichen Eingriff. „Guernica Gaza“ blieb hängen, das umstrittenste Werk „People´s justice“ wurde abgebaut – die Künstler sind weiter im Gespräch. So rief das Internationale Auschwitz-Komitee zum Dialog mit ihnen auf. „Es wird höchste Zeit, im Rahmen dieser Documenta ein Gespräch zu beginnen, die Künstler zu hören, aus welcher Weltsicht diese Bilder so entstanden sind, und seitens der Documenta öffentlich zu erklären, warum diese Bilder hier auf Widerstand und Ablehnung stoßen“, erklärte der Exekutiv-Vizepräsident des Auschwitz-Komitees am Dienstag.

Nicht nur hier, so muss man hinzufügen. Alle Menschenrechte finden ihre Schranke in den Rechten anderer. Dass das immer wieder im Einzelfall ausgefochten werden muss – friedlich und auch ohne den Staat –, das ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Das ist Freiheit und nicht Zensur.

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