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#Die Röte des Bleis

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Die Röte des Bleis

Lediglich Beuys wird in der Kunst mit nur zwei Materialien – Fett und Filz – so eng assoziiert wie Anselm Kiefer mit „seinem“ Blei und der Asche. Und nur sehr wenige andere Künstler spalten die Betrachter derart in glühende Anhänger und abgrundtiefe Verächter. Diese Polarisation war erst jüngst wieder in Frankreich zu beobachten, wo Kiefer besonders viele Verehrer hat: Als Präsident Macron persönlich dafür sorgte, dass der deutsche Künstler im Pantheon als Allerheiligstem der Nation Vitrinen mit Blumen aus Stacheldraht und abgelegten, aschebestreuten und an Deportationen erinnernden Kinderkleidern installierte, raunte es sofort „Symbolkitsch!“ von jenseits des Rheins. Dabei wird doch gerade Kiefer das erd- und bleischwere Dauerraunen und Heideggern zugeschrieben.

Stefan Trinks

Ein Missverständnis, wie sich nun in der Kunsthalle Mannheim anhand Dutzender seiner Arbeiten aus über dreißig Jahren zeigt. Tatsächlich kann Material Symbolik transportieren oder erzeugen, nicht jedoch per se Kitsch. Die Metaphern mögen vielen zu groß sein – die vier Säle der Schau sind dichotomisch „Gott & Staat“, „Mann & Frau“, „Tod & Stille“ und „Himmel & Erde“ übertitelt – verboten kann es einem Künstler nicht sein, sich mit letzten, metaphysischen Dingen und den alten Mythen der Menschheit, die sich im Kern doch ähneln, auseinanderzusetzen. Zumal Kiefer stets neue Metaphern aus seinen bevorzugten Arbeitsmaterialien schnitzt. Und selbst wo er vorhandene Materialsymbolik nutzt, erweitert er diese immer auf bislang ungekannte Weise.

Diese metaphorischen Transmutationen signalisiert Kiefers Lieblingsmaterial Blei überdeutlich. Natürlich ist es kein „leichtes“ Material – in der Renaissance wurde es, der Melancolia zugeordnet, von der Alchemie geliebt, und so bringt Kiefer seine Bleibilder oft genug alchemistisch mittels Säure und Elektrolyse zum „Glimmen“. Von bleierner Schwere spricht, wer versucht, den lastenden Alp von Träumen, extremer Ermattung oder lockdownhaften Gefühlen der Unentrinnbarkeit zu beschreiben. Zugleich aber ist Blei ein quecksilbriges Material von erstaunlicher Wandelbarkeit, das trotz seiner Weichheit den größten Steinkonstruktionen der Menschheit Halt verleiht – der höchste Kirchturm der Welt in Ulm würde ebenso wenig ohne Blei stehen wie irgendeine andere gotische Kathedrale.

Geschlossenes Paradies mit Abrißbirne: Anselm Kiefers „Hortus Conclusus“, 2014.


Geschlossenes Paradies mit Abrißbirne: Anselm Kiefers „Hortus Conclusus“, 2014.
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Bild: Kunsthalle Mannheim

Wenig verwunderlich daher, dass sich Kiefer einen Teil der alten Bleideckung des Dachs des Kölner Doms verschafft hat, um diese in „Die große Fracht“ von 1981/96 unter anderem in ein mächtiges Flugzeug zu verwandeln. Als solches kann es Atombomben abwerfen, aber auch Wasser zum Löschen von Waldbränden, genauso wie Menschen und eben lebensnotwendige „Fracht“ an ihr Ziel bringen. Eine weitere Bedeutungsebene des Bleis entfaltet Kiefer in der erstmals gänzlich aufgebauten Installation „Der verlorene Buchstabe“: Einer alten Druckmaschine im Zentrum entsprießen gigantische Sonnenblumen und Bleilettern, überall liegen aufgeschlagene Bleibücher umher, die im Querschnitt wie Schwalben aussehen – selbst die Beflügelung der Gedanken durch Bücher, jahrhundertelang ja auch mit Blei gedruckt, kann das tellurische Metall ausdrücken.

Kein Historienmaler, eher ein Poet

Und auch Kiefers stark skandalisierte Arbeit „Volkszählung“ aus zumindest der Aufschrift nach „sechzig Millionen“ in Bleiplatten und Röhren eingegossenen Erbsen, die eine nach dem Gemüse benannte Zählung aller damaligen Bundesbürger im Jahr 1987 kritisiert, gibt dem Blei neue Bedeutung. Scheint die naheliegende Assoziation angesichts des bedrohlichen Gehäuses um die eingereihten Erbsenplatten eher die der Bleikammern Venedigs, in denen Menschen in Isolationshaft gefangen gehalten wurden, spreizt die Arbeit den Assoziationsrahmen mühelos aus auf den bleiernen RAF-Herbst 1977 mit daraus resultierender Installation der Rasterfahndung und damit den Beginn versucht lückenloser Erfassung. Kiefer aber wäre nicht der begnadete Neo-Metaphorist, der er ist, würde er nicht diese düsteren inneren Bildern von Blei mit einem Silberstreif versehen (die feine Ironie des Künstlers ist vermutlich sein bestgehütetes Geheimnis): Auf das Dach dieser erbsenzählerischen Staats-Bleikammeralistik setzt er eigener Aussage zufolge den „Leviathan“ in Lindwurmform. Weil der biblische Leviathan aber seit dem gleichnamigen Buch der frühmodernen Staatslehre Thomas Hobbes’ von 1651 in Gestalt eines riesigen Regenten mit Hunderten von Staatsbürgerlein als Leib dargestellt wird, zeigt das surreale Bild des Kiefer’schen Leviathans mit kleinem Schlangenkopf oben und sechzig Millionen Erbsenbürgern darunter die ganze Absurdität dieser Volkserfassung.

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