#Die Spritzen der anderen
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„Die Spritzen der anderen“
Erwin Rüddel dachte nicht, dass die Deutschen es so eilig haben mit dem Impfen. Er hat oft das Gegenteil erlebt. Immer wenn er nicht als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses arbeitete, sondern im Wahlkreis war, bei der Familie und bei Freunden, sagten alle, sie wollten nicht die Ersten sein, die geimpft werden. Der CDU-Abgeordnete Rüddel antwortete: „Prima, dann steigen meine Chancen. Ich wäre gern der Erste.“
Justus Bender
Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Morten Freidel
Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Er schwärmte von dem Impfstoff, die Bürger sagten ihm was anderes, und zwar „hundertfach“, in Berlin genauso wie im Westerwald. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bekam Briefe von Pflegern. Die schrieben: „Herr Spahn, ich lasse mich vielleicht impfen, aber nicht als Erstes. Ich bin nicht Ihr Versuchskaninchen.“
Deshalb war Rüddel „ehrlich gesagt überrascht“, als es in dieser Woche Beschwerden gab, dass in Großbritannien und Amerika schon mit Notfallzulassungen geimpft werde und in Deutschland nicht. Er dachte: Die Deutschen mögen es lieber sicher.
Bei der Union haben sie das schon vor Wochen diskutiert. Sie stellten sich vor, es ist Februar 2021, und ein Mensch stirbt nach der Impfung. Gemeint ist: Er stirbt nicht wegen der Impfung, sondern zufällig danach. „Wir impfen die Hochrisikogruppe. Da ist nicht auszuschließen, dass ein Neunzigjähriger mit drei Herzinfarkten und einem Schlaganfall in einer Pflegeeinrichtung geimpft wird und drei Tage später verstirbt. Das hat natürlich nichts mit der Impfung zu tun. Trotzdem könnte es für Unsicherheit sorgen“, sagt Rüddel.
Druck wurde gemacht
Der Boulevard könnte schreiben: Mann stirbt nach Impfung. Andere könnten fragen: Wurde nicht sorgfältig geprüft? Wenn die Antwort dann lautet, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur im Dezember nur oberflächlich prüfte, weil Druck gemacht wurde, könnte die Verunsicherung eskalieren. Deshalb waren Politiker wie Rüddel nicht für eine Notfallzulassung. „Deshalb ist uns die Sicherheit so wichtig. Deshalb ist auf die wissenschaftliche Arbeit kein politischer Druck ausgeübt worden“, sagt er.
Rüddel sagt: „auf die wissenschaftliche Arbeit“. Druck wurde schon gemacht. Als Zeitungen in dieser Woche anfingen, die Bundesregierung zu kritisieren, hatten sie ein Argument, das nicht ganz unplausibel klang. Es lautete: Jeder Tag, an dem geimpft wird, rettet Leben, und der Impfstoff ist eine deutsche Erfindung. Die Zulassungsbehörden in Amerika und Großbritannien haben ähnliche Zulassungskriterien wie die EU. Warum machen wir keine Notfallzulassung? Damit kleinere EU-Staaten sich nicht übergangen fühlen? Lohnt es, dafür Landsleute zu opfern?
Besonders ein Satz aus dem November fiel Spahn auf die Füße. Er hatte gesagt: „Ich könnte es als deutscher Gesundheitsminister jedenfalls schwer erklären, wenn in anderen Regionen der Welt ein in Deutschland produzierter Impfstoff schneller verimpft würde als in Deutschland selbst.“ Wie kommt man da wieder raus?
Wie Rüddel es mitbekommen hat, machte Merkel in Brüssel Druck, damit die Verwaltungsakte schneller werden, aber nicht die wissenschaftliche Prüfung. Merkel telefonierte mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die auch von sich aus an einer Beschleunigung interessiert war. Rüddel sagt, die Zulassungskommission treffe sich immer am Ende des Monats. Geplant war der 29. Dezember.
Das Treffen konnte auf den 21. Dezember vorgezogen werden, ohne dass darunter die Gründlichkeit litt. „Die Initiative ging von Deutschland aus“, sagt Rüddel. Die Arzneimittelbehörde sagt dazu nichts. Nach dem Erhalt weiterer Forschungsdaten sei „eine Sondersitzung für den 21. Dezember“ anberaumt worden, heißt es nur.
Verheddert in den eigenen Erwartungen
Dass Europa später impft als Amerika und England, ist nicht das Ergebnis von Trödelei. In der Branche wird berichtet, wie penibel die Europäische Arzneimittel-Agentur arbeitet. In Zulassungsverfahren für Medikamente graben die Prüfer tief in den Rohdaten der Wirksamkeitsstudien, Computerprogramme suchen nach Auffälligkeiten.
Pharmafirmen bekommen kleinteilige Rückfragen wie: „In dem Datensatz Nummer 3380 sieht der Verlauf ungewöhnlich aus. Haben Sie dafür eine Erklärung?“ An der Prüftiefe wurde beim Corona-Impfstoff nicht gespart, das versichern alle Beteiligten. Auch der Eindruck, in einer EU-Behörde gingen die Leute nach acht Stunden in den Feierabend, während in den Intensivstationen die Menschen sterben, wird in der Branche nicht geteilt. Die Rede ist von fleißigen Leuten erster Güte.
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