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#Die „Süddeutsche Zeitung“ entschuldigt sich bei Igor Levit

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Die „Süddeutsche Zeitung“ entschuldigt sich bei Igor Levit

Auf bislang beispiellose Weise ist die Chefredaktion der „Süddeutschen Zeitung“ in ihrer Mittwochausgabe vor dem Pianisten Igor Levit und dessen Anhängern in die Knie gegangen. Eine ganze Seite widmete sie den – zumeist ablehnenden – Reaktionen ihrer Leser und mehrerer Twitter-Nutzer auf einen Artikel von Helmut Mauró, der am 16. Oktober im Feuilleton der Zeitung erschienen war. Damit nicht genug. Die Chefredaktion entschuldigte sich auf derselben Seite in aller Form bei Igor Levit, der sich in einem Brief „persönlich getroffen“ von Maurós Artikel gezeigt hatte, und sie entschuldigte sich auch bei den Lesern.

Was geht da vor? Zunächst hatte Mauró unter der Überschrift „Igor Levit ist müde“ eine Polemik publiziert, die vor Neid, Rachsucht und Ressentiment nur so strotzte. Neid, weil Levit eine mediale Aufmerksamkeit genieße, die nach Maurós Ansicht nicht dessen Rang als Pianist entspreche. Rachsucht, weil Mauró sich für den Pianisten Daniil Trifonov eingesetzt hat, den er durch Levits übergroße Präsenz in den Medien und auf Konzertpodien herabgesetzt sieht. Ressentiment, weil Mauró unterstellt, Levits Engagement gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus sei nichts als „ein lustiges Hobby“ und dessen Empathie mit dem Opfer eines antisemitischen Anschlags in Hamburg jüngst nur mediales Kalkül.

Von vielen Kritikern wird Mauró vorgeworfen, selbst antisemitische Positionen zu vertreten. Dass er das Internet als „diffuses Weltgericht“ bezeichnete, dessen Urteile oft auf „Opferanspruchsideologie“ beruhen, legen sie ihm nun aus als persönliche Herabwürdigung Levits, der aus einer jüdischen Familie stammt. Die Adressierung von Maurós Vorwurf ist im Text genauso diffus wie das Weltgericht, so dass er sich die Antisemitismusfalle selbst gestellt hat.

Problematische rhetorische Strategien

Die als Rechtsextremismusexpertin herumgereichte Publizistin Natascha Strobl moniert auf Twitter „problematische rhetorische Strategien“ in Maurós Text. Die allerdings hätte man auch einmal – ohne Zorn und Eifer – an den zahlreichen tagespolitischen Einlassungen Levits untersuchen können, ohne damit gleich eine Diskussion über seinen Rang als Pianist zu verknüpfen. Dass er twitterte, die AfD bestehe aus „Menschen, die ihr Menschsein verwirkt“ hätten, und das in der Talkshow von Maybrit Illner wiederholte, ist eine keineswegs harmlose Entgleisung. Levit versuchte im Nachhinein zu beschwichtigen, er habe das Wort „Menschsein“ im Sinne des jiddischen Wortes „Mensch“ gebraucht, welches in der Tat einen „ehrenhaften, umsichtigen Menschen“ meint. Sprachlicher Kontext von Tweet und Talkshow zeigen aber, dass er sich in einem deutschen Sprachumfeld bewegte, ohne die Verwendung eines gleichklingenden Wortes mit einer spezifizierten semantischen Nuance zu markieren. Als rhetorische Strategie ist das hochproblematisch, wenn nicht gar ein kalkulierter Tabubruch, der nachträglich relativiert wurde – eine Technik, die Levit von seinen politischen Gegnern gelernt hat.

Levit seinen Rang als Pianist deshalb abzusprechen ist allerdings hanebüchen. Sein Ruhm als Künstler wird ohne Zweifel durch seinen Social-Media-Aktivismus verstärkt, aber er hat eine starke Substanz in seinem Können. Ob man Igor Levit oder Daniil Trifonov für den besten Pianisten ihrer Generation hält, hängt von eigenen Kriterien, Vorlieben, Empfänglichkeiten ab. Wer verbindliche Arbeit am Text, Pflichtbewusstsein gegenüber manuellen und strukturellen Forderungen des Werkes, verlässliche Festlegung interpretatorischer Formulierungen, evidente Konsequenzlogik, aber auch hinreißenden Witz schätzt, wird eher zu Levit neigen. Wer Spontaneität, den Augenblicksreiz, Unvorhersehbarkeit von Farb- und Stimmungswechseln, das ekstatische Erleben von Polyphonie als fast körperlich spürbare Beziehungsdichte höher veranschlagt, wird Trifonov mehr mögen. Darüber wird aber in der Regel wenig diskutiert.

Nachdem die Redaktion der „Süddeutschen Zeitung“ noch am Samstag auf Twitter den Text von Helmut Mauró verteidigt hatte und durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sah, entzieht sie nun durch die Entschuldigung ihrem Autor den Schutz. Sie hat sich nicht dem Druck der Argumente, sondern dem von Personen in ihrer schieren Masse gebeugt. Von einem journalistischen Standpunkt lässt solch ein Verhalten nichts erkennen. Wenn die Redaktion Maurós Text als legitim ansähe, könnte sie die Gegenmeinungen dokumentieren, sich die Entschuldigung aber sparen. Wenn nicht, lautet die Frage, wie der Text, der gewiss nicht aus der Laune des Augenblicks entstanden ist, überhaupt ins Blatt gelangen konnte. In jedem Fall ist das Verhalten der Redaktion unverantwortlich.

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