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#Die Universität als moralische Anstalt

Die Universität als moralische Anstalt

Zeitgenössische Beschreibungen der Klassen und Schichten westlicher Gesellschaften betonen neben den ökonomischen Ungleichheiten auch kulturelle Unterschiede. Dabei geht es meist um Fragen der Lebensführung: Was man isst, wie man sich kleidet und seine Freizeit verbringt, unterscheidet sich je nach der sozioökonomischen Lage. Zudem korrelieren Schichtung und Lebensstil mit politischen und moralischen Einstellungen: Sympathien für Lokomotivführer, Vorstandsvorsitzende oder bedrohte Tierarten sind in einzelnen Milieus sehr unterschiedlich ausgeprägt. Das Spek­trum unterschiedlicher Lebensstile und kultureller Orientierungen wird gegenwärtig häufig auf den Gegensatz zwischen „Kosmopoliten“ und „Lokalen“ zugespitzt, also zwischen einer mobilen, für neue Einflüsse und Lebensmodelle offenen Einstellung auf der einen Seite und einer – sei es aus Notwendigkeit oder aus freier Entscheidung – eher lokal orientierten und Veränderungen gegenüber skeptischen. Die kosmopolitische Kultur gilt als Domäne von Großstädtern, insbesondere von jenen, die einen Hochschulabschluss haben.

Dies wirft die Frage auf, inwiefern die akademische Ausbildung kulturelle Präferenzen verstärken oder verändern kann. In den USA wird dies schon länger diskutiert. Von konservativer Seite wird beklagt, dass die liberale akademische Elite an den Colleges und Universitäten unter dem Banner der politischen Korrektheit einen „Kulturkrieg“ zugunsten der eigenen Werte führe. Dafür spricht, dass Universitäten nicht erst seit 1968 vor allem als Orte linker und progressiver Bewegungen in Erscheinung getreten sind. Ob dies damit zu tun hat, dass sie bestimmte politische und moralische Einstellungen begünstigen und ihre Mitglieder entsprechend sozialisieren, untersuchen zwei Soziologen der Universität von Toronto in einer aktuellen Studie.

Anhand von Längsschnittdaten, die über zehn Jahre in einer Kohorte von Jugendlichen und jungen Erwachsenen erhoben wurden, lassen sich etwa die Veränderungen moralischer Überzeugungen nachvollziehen und der Einfluss einer akademischen Ausbildung genauer bestimmen. Bisherige Studien konnten bereits einige Effekte nachweisen: Zum Beispiel verändert der Besuch einer Hochschule das moralische Räsonieren in Richtung abstrakter und universalistischer Prinzipien; auch werden Vorurteile verringert und die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, gesteigert. Solche Veränderungen passen zu der Hypothese, dass moralische Einstellungen mit der kognitiven Entwicklung zusammenhängen. Andere Beobachtungen weisen auf Unterschiede zwischen den studierten Disziplinen hin und somit darauf, dass Sozialisationsprozesse eine entscheidende Rolle spielen: Studienfächer sind Subkulturen, in denen bestimmte Normen und Moralvorstellungen gepflegt und weitergegeben werden. Inhaltlich tendiert die akademisch geprägte Moral, besonders nach Auffassung ihrer Kritiker, zu einem Relativismus, der Moral als kontextbezogen und veränderlich begreift.

Die empirischen Daten bestätigen sowohl die Kognitions- als auch die Sozialisationshypothese. Wer einen akademischen Abschluss hat, neigt zu einer progressiveren Sicht auf moralische Fragen; das gilt insbesondere für Absolventen geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer. Der Anteil, den die akademische Ausbildung an diesem Einstellungswandel hat, ist ähnlich hoch wie jener, der auf starke religiöse Überzeugungen zurückgeht (und er kann diese dementsprechend aufwiegen). Allerdings wird zwar die Veränderbarkeit moralischer Prinzipien bejaht, aber kein Relativismus vertreten, der allgemeingültige Werte und Regeln grundsätzlich für unmöglich hält oder ablehnt. Im Gegenteil: Die weitgehend einem liberalen Muster entsprechenden Werte werden mit einem hohen Maß an Überzeugung vertreten. Die Autoren der aktuellen Studie zeichnen das Bild eines „moralischen Absolutismus“, der sich gerade nicht auf traditionell konservative Werte und gesellschaftliche Stabilität beruft, sondern auf Anpassung und Änderungsbereitschaft.

Zur Erklärung verweisen die Autoren auf einen dritten Mechanismus moralischen Wandels: An den Hochschulen findet demnach nicht nur Sozialisation statt, sondern auch Erziehung. Vor allem in Geistes- und Sozialwissenschaften wird gelehrt, dass die gesellschaftliche Moral elastisch und anpassungsfähig ist. Doch die eigenen, zeitgenössischen Moralvorstellungen werden offenbar nicht als kontingent reflektiert, sondern als wahr unterstellt. Wenn die Universität den Anschein eines „moralischen Konsenses“ unter ihren Mitgliedern erweckt, ist es nur folgerichtig, wenn die Studierenden letztlich zu der Überzeugung kommen, dass moralische Lernfähigkeit nicht sie selbst, sondern nur die anderen betrifft.

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