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#Die vielen Schichten der Wahrheit

Die vielen Schichten der Wahrheit

Was machen russische Truppen an der Grenze zur Ukraine? Leben der Bruder oder der Onkel des nordkoreanischen Diktators noch? Hält sich Iran an seine Atom-Zusagen? Wer solche Dinge wissen will, kann in der Berliner Chausseestraße nachfragen, dort hat der Bundesnachrichtendienst (BND) sein Hauptquartier. Seine oft militärisch ausgebildeten Mitarbeiter sollen außerdem alles herausfinden, was für die Sicherheit der Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Mitarbeiter von Botschaften und Behörden relevant sein könnte.

Afghanistan gehört zu den Ländern, für die sich der BND besonders interessiert. Es wurde beobachtet, mit Informanten wurde geredet, im Internet mitgelesen, Kommunikation abgehört. Jahrelang hätten sich Analysen und Einschätzungen des Dienstes als zutreffend erwiesen, behaupten Fachleute. Doch als es wirklich darauf ankam, lag der BND nicht richtig. Die Taliban haben die Macht im Land viel schneller übernommen, die afghanische Armee hat viel weniger Widerstand geleistet, als die Analysten unter  BND-Präsident Bruno Kahl angenommen hatten.

Baldige Übernahme Kabuls galt als unwahrscheinlich

Die Fehleinschätzung des Dienstes auf den letzten Metern ist einer der Gründe dafür, dass deutsche Staatsangehörige und Ortskräfte, die für Deutschland gearbeitet haben, nun in Gefahr sind. Vordringlich ist derzeit die Rettung möglichst vieler Menschen, solange das noch geht. Doch parallel wird in Berlin darüber diskutiert, welche Fehler beim BND liegen, welche beim Außenminister, dem Innenminister, der Kanzlerin. Es gibt den öffentlichen Schlagabtausch, die Schuldzuweisungen, gerade in Wahlkampfzeiten. Doch es gibt auch Anfänge einer ernsthaften Aufarbeitung, damit solche Fehler nicht wieder passieren.

Dazu gehört zunächst ein Blick auf die Lage kurz vor dem Wochenende, an dem sich die Dinge überstürzten. Am Freitag, 13. August, trat in Berlin der Krisenstab zusammen. Ein Mitarbeiter des BND trug vor, die Übernahme Kabuls durch die Taliban vor dem 11. September – dem Enddatum für den Abzug der internationalen Allianz – sei „eher unwahrscheinlich“. Die Taliban-Führung habe nach Erkenntnissen des Dienstes „kein Interesse an einer militärischen Einnahme Kabuls“. So jedenfalls ist es im Protokoll zu lesen, das kurz darauf in Berlin kursierte.

Ein unvollständiges Protokoll

Sofort stand der BND im Sturm öffentlicher Kritik. Doch ganz so einfach kann man es sich nicht machen. Der Begriff „eher unwahrscheinlich“ bedeutet in der Sprache der Nachrichtendienstler immerhin eine Wahrscheinlichkeit von zwanzig bis fünfzig Prozent – theoretisch also fifty-fifty. Der Krisenstab sollte das wissen.

Dazu kommt: Ein Teil der Aussagen der BND-Mitarbeiter fehlt offenbar im Protokoll. Wie zu hören ist, war die Einschätzung des Dienstes in der Krisensitzung in Wahrheit vielschichtiger als die Sätze, die nun die Runde machten. Es wurden verschiedene „Kipppunkte“ vorgetragen – also Szenarien, die dazu führen könnten, dass die Sache anders ausgeht. Zu diesen Szenarien gehörte die Möglichkeit, dass die Amerikaner früher aus der „Green Zone“ in Kabul abziehen, wo sich Botschaften und Ministerien befinden. So kam es dann in der Nacht zum Sonntag tatsächlich – und nach jetzigem Stand, ohne dass die Amerikaner ihre Verbündeten im Vorfeld unterrichtet hatten.

Realitätsverweigerung der Bundesregierung?

Auch die Einstellung der finanziellen Unterstützung für Afghanistan könne die Lage ändern. Warum die Aussagen nur gekürzt ins Protokoll kamen, ist unklar. Der Dienst habe das Protokoll nicht zur Gegenzeichnung bekommen, heißt es.

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Könnte es sein, dass die Bundesregierung bestimmte Szenarien gar nicht so genau wissen wollte? Dass sie sich nicht eingestehen wollte, dass der zwanzig Jahre währende Einsatz von Bundeswehr, Polizei und Entwicklungshelfern weniger gebracht hat als erhofft? Erfahrene Diplomaten, nicht mehr im Dienst, sagen in vertraulichen Gesprächen, die Berichte aus Kabul, aber auch aus Islamabad und anderen Orten seien auf den Dienstwegen bis zur Unkenntlichkeit verwässert und weichgespült worden. Am Ende hieß es: Lage schwierig, aber es wird besser.

Kiesewetter: Man habe früh Bescheid gewusst

Die tatsächliche Lage wurde aber immer schlimmer und nie besser. Als sich das Auswärtige Amt das schon vor acht, neun Jahren hatte eingestehen müssen, änderte man nicht etwa die „Fortschrittsberichte“, sondern berichtete gar nicht mehr. Das, was veröffentlicht wurde, etwa zu den alljährlichen Mandatsverlängerungen für die Bundeswehr, entsprach oft den Textbausteinen des Vorjahres. Da konnte der BND kabeln, was er wollte.

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