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#Dieser Roman ist eine Sinnflut

Dieser Roman ist eine Sinnflut

Herr Blumenbach, vor etwas mehr als zehn Jahren haben Sie Furore gemacht mit Ihrer Übersetzung des Romans „Infinite Jest“ von David Foster Wallace. War Joshua Cohens „Witz“ eine ähnliche Herausforderung? Und wie lange haben Sie dafür gebraucht?

Ich habe mit der Übersetzung 2015 angefangen und sie nach mehreren Unter­brechungen 2020 abgeschlossen. „Witz“ ist ähn­lich komplex wie „Infinite Jest“, Cohen hat aber eine andere Poetik. Wallace bildet Denkprozesse ab, indem er die Sprache durch Anmerkungen, Ab­schweifungen, Gra­phiken, mathematische Formeln im Text und andere naturwissenschaftliche Dar­stellungstechniken entlinearisiert. Co­hen geht auf andere Weise über die Einsinnigkeit der Standardsprache hin­aus: Sie wird durch verschiedene rhetorische Mittel wie Assonanzen, Alliterationen, Komposita, Neologismen, Homonyme, Mehrsprachigkeit und Zitatpersiflagen, aber auch durch unendlich lange, gelegentlich nicht lupenrein aufgehende grammatische Konstruktionen „bis zur Grenze des Möglichen mit Sinn aufgeladen“, wie Ezra Pound einmal gesagt hat. „Witz“ ist eine Sinnflut.

Literarische Kunstwerke lassen sich manchmal schwer zusammenfassen in Klappentexten oder Rezensionen. Haben Sie sich von „Witz“ einen Begriff machen können, nach dem Motto: „In diesem Roman geht es um . . .“?

Formelhaft zugespitzt kann man sagen, „der Roman wehrt sich gegen die Sentimentalisierung des Holocausts“ oder dass er die Gewaltgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts mit umgekehrtem Vorzeichen satirisiert. Damit ist aber noch nicht viel gesagt. Man kann natürlich auch Schauplätze, Handlungsfäden und Figuren herauspräparieren, aber diese Elemente herkömmlicher Erzähltexte treten in den Hintergrund oder verschwinden im Nebel der rhetorischen Rasanz. Wichtiger ist tatsächlich die lyrische oder traumartige Qualität: „Witz“ ist über weite Strecken ein Prosagedicht – und zumal im letzten Teil ein schwer erträgliches, weil paradoxes Prosagedicht des Grauens. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass im Roman immer wieder auf Celans „Todesfuge“ angespielt wird, die auf ­vergleichbare Weise in kaum fassbarer sprachlicher Schönheit vom un­fassbaren Massenmord handelt.

Joshua Cohen


Joshua Cohen
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Bild: Beowulf Sheehan

Während viele aktuelle Romane heute auf Inhalt setzen, oft auf schlecht fiktiona­lisierte Debattenthemen, ist „Witz“ zu­tiefst formalistisch, stark ver­ankert in der literarischen Moderne. Was heißt das für den Übersetzer?

Ich muss mir klarmachen, dass die Dynamik der Form hier oft wichtiger ist als der Informationswert der Wörter, Wendungen und Sätze. Formalistisch oder mo­dernistisch sind für mich zum Beispiel Cohens ständige Stilregisterwechsel. Ich würde folgende Ton­lagen unterscheiden: die verhältnismäßig „normal“ erzählte Ge­schichte der Familie Israelien, den ­hohen religiösen Ton heiliger Schriften, den niederen religiösen Ton mehr oder weniger konkreter Beschreibungen einzelner Festtage, Riten, Gebete et cetera, satirische Schilderungen der Weltlage, in sich ab­geschlossene Kabinettstückchen, Typen­komödien und Klischeeparodien, schließlich das Parlando furioso eines tendenziell asemantischen, aber hochmusikalischen Geschwurbels. Da Co­­hen die Schule der Postmodernisten durchlaufen hat, inszeniert er eine Brüchigkeit dieser Erzählerstimmen, und eine Pas­sage im hohen Ton kann noch im selben Satz von einer Art flapsigem Stand-up-Comedian kommentiert werden.

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