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#Diskrete Auslese

Diskrete Auslese

Kann man in den hohen Abbruchquoten an deutschen Hochschulen etwas Positives sehen? Dass im Fächerdurchschnitt rund ein Drittel aller Studenten das Studium vor dem Erwerb eines Abschlusses aufgibt, kann auch als Beleg dafür betrachtet werden, dass die akademische Selbstkontrolle funktioniert. Dass nicht jeder, dem sein Abitur eine Hochschulreife bescheinigt, über diese tatsächlich verfügt, muss für die Hochschulen überprüfbar sein. Hohe Abbruchquoten wären insofern als Entlastung von Studenten zu würdigen, die den Anforderungen eines bestimmten Studiums zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht gewachsen waren. Auch den Gewinn, den diese ehemaligen Studenten für andere Ausbildungsbereiche wie das Handwerk bedeuten, sollte man nicht unterschlagen.

Ein Abbruch könnte auch eine individuelle Befreiung sein, eine begründete Einsicht in eine falsche, aber ohne große Kosten revidierbare Entscheidung. Dafür spricht schon der Forschungsbefund, dass der Studienabbruch am häufigsten schon im zweiten Semester erfolgt. Bedenkt man, wie wenig Abiturienten über die Herausforderungen eines Hochschulstudiums wissen und wie gering das Gymnasium sie darauf vorbereitet, während motivierter Nachwuchs in zahlreichen nichtakademischen Berufsfeldern dringend fehlt, sollte man die Hochschulen eigentlich dafür loben, so vielen jungen Menschen die Einsicht vermittelt zu haben, dort nicht hinzugehören.

Die Forschung zum Studienabbruch sieht das meist anders. Entsprechend den Vorgaben der Bildungspolitik sieht sie sich verpflichtet, mit ihren Befunden zu einer möglichst hohen Studienerfolgsquote beizutragen. Hohe Abbrüche können da nur als Systemfehler gelten, der individuell als Versagen erlebt wird, weil etwa finanzielle oder familiäre Gründe das unrühmliche Ende der akademischen Ambitionen erzwingen. Die „Zeitschrift für empirische Hochschulforschung“ hat jetzt mit einem ganzen Themenheft unterstrichen, dass sich die Forschung zum Studienabbruch an ihrem Beitrag zur Prävention solcher akademischer „Fehlinvestitionen“ messen lassen sollte. Das Grundproblem dieser Forschung ist allerdings, dass sie über keine objektiven Leistungsdaten wie Noten und Prüfungsergebnisse verfügt, die sie zur Erklärung der Abbrüche benutzen könnte. Sie weiß auch nichts über den weiteren Werdegang der Abbrecher und ihre Bildungskarrieren nach der Hochschule. Objektive Daten müssen hier durch subjektive wie Abbruchintentionen und Motivationsmängel ersetzt werden.

Wer ist Schuld an den hohen Abbruchquoten?

Man weiß immerhin, dass rund 45 Prozent der Chemie-Studenten ihr Studium vorzeitig aufgeben. Wenn aber Vanessa Fischer und ihre Mitautoren in ihrem Beitrag feststellen, hierfür seien die mangelnden Vorkenntnisse aus der Schule maßgeblich, müsste das die Hochschulen eigentlich aus der Schuld entlassen. Dass mit der Heterogenität die Leistungsunterschiede der Studenten ebenfalls zunehmen müssen, wenn immer mehr Jahrgangsanteile an die Hochschulen strömen, bestreiten Daniel Klein und Lars Müller in ihrem Beitrag natürlich nicht. Nur sehen sie darin vor allem sozial bedingte Bildungsunterschiede. Dass es Studenten aus nichtakademischen Elternhäusern im Studium schwerer haben und daher eher zur Aufgabe neigen, kann nicht überraschen.

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Von einem „systematischen herkunftsassoziierten Abbruchrisiko“ unabhängig von den individuellen Leistungen wollen Klein und Müller jedoch nicht sprechen. Vielmehr seien wie auch beim Hochschulübergang soziale Ungleichheiten beim Studienabbruch maßgeblich durch Entscheidungen gekennzeichnet, also durch die sogenannten sekundären Effekte der Bildungsherkunft. Das studierende Arbeiterkind bricht demnach sein Studium eher ab als der Kommilitone mit den promovierten Eltern, weil ihm die Kosten zu hoch werden oder weil die Unterstützung des sozialen Umfeldes fehlt, aber eben nicht, weil es den Leistungsanforderungen nicht gewachsen wäre. Das sei bei der ethnischen Herkunft anders: Hier ließen sich mehr als die Hälfte der Ungleichheiten beim Studienabbruch auf primäre Leistungsunterschiede zurückführen. Dahinter steht die wachsende Gruppe der „Bildungsausländer“ mit inzwischen über 250 000 Studenten, deren Abbruchquoten mit 45 Prozent im Bachelor und 29 Prozent beim Master deutlich über denen deutscher Studenten liegen.

Während die ethnische Heterogenität der Studenten ein neueres Problem ist, halten sich gleichzeitig alte Ungleichheiten. Lena Kegel und ihre Mitautoren suchen nach Motivationsunterschieden bei den Studenten und finden sie zwischen den Geschlechtern: Männer seien hoch motiviert, während Frauen am häufigsten nur moderat motiviert und fachlich gering interessiert seien. Die „geringeren akademischen Fähigkeitsüberzeugungen bei Frauen“ bleiben leider auch hier unerklärt, sollten aber nach Ansicht Kegels weiter erforscht werden. Kurioserweise widerspricht der Beitrag von Müller und Klein genau an diesem Punkt. Die zukünftige Erforschung sozialer und ethnischer Ungleichheiten beim Studienabbruch ist ihrer Überzeugung nach viel „drängender“ als die „kaum nachweisbaren geschlechtsspezifischen Disparitäten“.

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