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#„Du darfst jetzt nicht sterben“

„Du darfst jetzt nicht sterben“

Der CHIO riecht anders als sonst – ein kaltes Herbstlüftchen weht durch die Aachener Soers. Keine Aufbruchstimmung wie sonst im Juni, die Olympiasaison klingt für viele im Corona-Jahr 2021 hier aus. Doch für Ingrid Klimke nicht. Sie legt jetzt erst richtig los. Auf der Fahrt von Münster nach Aachen hat sie ihre restliche Saison geplant: Reitturniere im Wochentakt bis zum November, Vielseitigkeit und Dressur, mit der EM nächste Woche in der Schweiz als Höhepunkt.

Sie hat eine Menge nachzuholen, denn im Juni, Juli und den halben August war sie zu nichts in der Lage. Die meiste Zeit lag sie da und dämmerte vor sich hin. Ein schwerer Sturz am 30. Mai, bei einem Vielseitigkeitsturnier in Polen mit ihrer jungen Stute Cascamara, hatte sie aus der Bahn geworfen. Ihr sechster Olympiastart in Tokio war unerreichbar geworden.

„Eigentlich nur ein Missverständnis“

„Es ist ein Wunder, das ich das überlebt habe“, sagt sie jetzt, da das Schlimmste überstanden ist. An diesem Freitag und Samstag wird die 52 Jahre alte Münsteranerin, eine der profiliertesten Persönlichkeiten im Pferdesport, Tochter des legendären Reiner Klimke, in Aachen mit der Nachwuchsstute Siena in der Vielseitigkeit starten. Dazu bestreitet sie Rahmenprüfungen in der Dressur. Und auch einen Start am Samstagabend bei einem Klamauk-Springen verkneift sie sich nicht. Weil sie es wieder kann.

„Eigentlich“, sagt sie, „war es nur ein Missverständnis.“ Sie hatte mit ihrer jungen Stute den Geländeritt von Baborowko schon fast beendet. Am vorletzten Hindernis, einem schmalen Sprung mit einer Hecke obendrauf auf einer gebogenen Linie, die Klippe der Prüfung, passierte es. „Cascamara hat gezögert, ist erschrocken über sich selber.“ Sie sprang nicht gleich ab, sondern baute noch einen kleinen Galoppsprung ein, danach war nichts mehr zu retten. „Sie ist vorne hängen geblieben. Ich bin zuerst gefallen, und sie ist nicht auf mich draufgefallen, sondern neben mich und dann über mich gerollt zum Aufstehen.“

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Es ist eine der bedrohlichsten Situationen überhaupt in diesem Sport: Wenn ein Reiter von seinem Pferd überrollt wird, kann dies tödlich enden. Ingrid Klimke konnte kaum mehr atmen. Wie sich sehr viel später zeigte, hatte sie das Brustbein gebrochen. Was aber viel schlimmer war: Das Schlüsselbein war nach innen gesprengt und drückte auf die Luftröhre. „Es fühlte sich an, wie wenn dir einer langsam, aber sicher die Luft abdrückt.“ In den Momenten, in denen sie sprechen konnte, ächzte sie flehentlich: „Innen kaputt.“ Das sagte sie auch noch, als sie im Krankenhaus war, während umständlich die Formalitäten erledigt wurden und Manfred Giensch, der deutsche Mannschaftsarzt, der durch einen Glücksfall am Ort war, eigenmächtig nach Infusionsbesteck suchte.

Das gibt’s doch nicht, habe er gesagt, hier müssen doch irgendwo Schmerzmittel sein. Er habe das Zimmer auf den Kopf gestellt, während Ingrid Klimke vor lauter Schmerzen immer wieder wegtauchte. Die Untersuchungen ergaben allerdings nur den Bruch einer Rippe. Mit Mühe versuchte sie, Giensch zu überzeugen, dass die Verletzung viel dramatischer sein musste, denn sie hatte immer noch erhebliche Schwierigkeiten, zu atmen. Giensch telefonierte mit der Uniklinik Münster. Sie wurde mit Schmerzmitteln und Schlafmitteln betäubt und in ihren Pferdetransporter gebettet, ihre Tochter Greta betreute sie, außerdem waren ihre Stallmanagerin Carmen Thiemann und ihre Schwägerin Corinna Klimke dabei. Hinten die Pferde, so fuhren sie nach Hause.

„Schwerwiegende, außergewöhnliche Verletzung“

„Ich war zwischendurch mal wach, mal weg und dachte: Hoffentlich schaffst du es. Ich dachte, du darfst jetzt nicht sterben.“ Schon, weil ihre Tochter Greta neben ihr saß. „Ich musste ins Krankenhaus kommen, irgendwie. So eine Not über Stunden hatte ich noch nie.“ In Münster wurden die Aufnahmen aus Polen von Professor Michael Raschke neu analysiert. „Sie haben gleich gesagt, das ist nicht die Rippe, das ist eine schwerwiegende, absolut außergewöhnliche Verletzung.“

Sie wurde operiert. Danach war der Arm am Körper befestigt, sie hatte überall Hämatome und konnte immer noch kaum atmen und sprechen. Sechs Wochen war sie betäubt. „Sie haben immer wieder andere Schmerzmittel ausprobiert, und ich habe gesagt, ich spüre es immer noch.“ Was half: Ständig kamen Blumen und Genesungswünsche. „Es sah in meinem Zimmer aus wie in einem Blumenladen.“ Sie habe Zeit gehabt, nachzudenken und sich zu fragen: Mache ich wirklich das, was ich gerne machen möchte? „Es kann ja so schnell zu Ende sein.“ Die Antwort lautete Ja.

„Mir ist heute klar, dass ich meinen Traum verwirklicht habe. Ich will Pferde reiten, Pferde ausbilden, zum Turnier fahren, Seminare geben. Es ist meine Leidenschaft und meine Freude.“ Trotz der Gefahr, die dieser Sport mit sich bringt. Auto zu fahren, findet sie grundsätzlich gefährlicher. Auch wenn sie im Moment nicht unbedingt in den Sattel eines wilden, jungen Pferdes steigt, das plötzlich eine unerwartete Bewegung machen könnte. „Sonst bin ich die Erste, die da draufsteigt, aber im Moment halte ich mich noch ein bisschen dezent zurück“, sagt sie mit einem Lächeln.

Die erste Belastungsprobe hat sie bestanden: Mitte August gewann sie mit Hale Bob, ihrem Star im Stall, die Vielseitigkeit in Arville in Belgien. „Bobby war sensationell“, sagt sie. „Ich kam mir vor wie ein Beifahrer. Er hat gesagt, die muss wieder zurück in ihr altes Leben und da mache ich eine richtig coole Runde.“ Mit dem Wallach, der mit seinen siebzehn Jahren sehr erfahren ist, wird sie auch nächste Woche die Europameisterschaften in Avenches bestreiten. Sie könnte dort nach Strzegom 2017 und Luhmühlen 2019 zum dritten Mal nacheinander Einzel-Europameisterin werden – und zum dritten Mal mit Hale Bob. Auch in Aachen hat Ingrid Klimke ihr Top-Pferd dabei, aber nur um es beim Training in Gang zu halten. „Bei der EM“, sagt sie, „will ich was reißen.“

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