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#Durch den Krieg gekrochen

Eine Frau aus Breslau zieht durch die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs und durch die ersten der Nachkriegszeit, im April hat sie sich auf den Weg gemacht, im Sommer kommt sie endlich an in Steinhöring östlich von München. Ihre Tochter ist nicht mehr da. Kein Kind ist mehr in dem ehemaligen Lebensborn-Heim der Nationalsozialisten. Adele ist zu spät gekommen.

Ein Mädchen steht am Zaun, steht auf der Straße, will gehen: Flüchtende ziehen durch Solln bei München in der Nachkriegszeit, und Alissa weiß bestimmt, dass ihre Mutter unter ihnen ist, dass sie nach ihr sucht. Ihre richtige Mutter. Die Eltern binden sie an, erst an einen Baum, dann im Haus an einen Stuhl. Bis sie eines Tages mit ihm umkippt, auf den Kopf fällt, ohne sich auffangen zu können. Bis die Mutter, die so gern eine richtige Mutter wäre, dem Vorschlag des Kindes nachgibt: Sie fahren gemeinsam nach Steinhöring und fragen dort nach Adele Herschel. Wenn in Haus Hochland niemand ihren Namen gehört hat, gibt sich Alissa geschlagen. Im Oktober 1945 machen sie sich auf den Weg. Aus dem ehemaligen Lebensborn-Heim ist ein Kinderkrankenhaus der Salesianerinnen geworden. Sie fahren umsonst.

Was macht der Krieg mit Familien, was mit Frauen, was macht er mit Frauen schon in seiner Vorbereitung, was wird aus ihnen, was aus ihren Kindern danach? In ihrem Roman „Die Verwandelten“ erzählt Ulrike Draesner von Frauen aus drei Generationen, aus ihren Leben, die miteinander verbunden, verschränkt, verknotet sind, die verdreht sind, verkehrt, versehrt vom „großen Schlimmen“, auch wenn sie erst lange nach dem Krieg geboren worden sind, selbst wenn sie die längste Zeit ihres Lebens keine Ahnung hatten, welche Rolle der Krieg in ihrer Familien-, also ihrer eigenen Geschichte gespielt hat. Oder nicht viel mehr als eine nebulöse Vermutung.

Ulrike Draesner: „Die Verwandelten“. Roman. Penguin Verlag, München 2023. 608 S., geb., 26,– €.


Ulrike Draesner: „Die Verwandelten“. Roman. Penguin Verlag, München 2023. 608 S., geb., 26,– €.
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Bild: Penguin Verlag

„Nebelkinder“ werden die in den Sechzigerjahren Geborenen genannt, deren kriegsgezeichnete Eltern, wie Ulrike Draesner schreibt, allenfalls „andeuteten und verstummten, mit Floskeln abspeisten, sich selbst nicht anders verstanden denn als Schemen, Eltern, die den Nebel erzeugten, an dem sie zugleich litten, was sie nie zugegeben hätten, denn sie taten es, um sich zu schützen“. Ein solches Nebelkind ist Kinga, Alissas Tochter, in unserer Gegenwart eine Berliner Anwältin, die nach ihrem juristischen Vortrag über Zukunftsformen von Elternschaft in Hamburg unversehens einer Zuhörerin gegenübersteht, ihr selbst so ähnlich, dass Umstehende glauben, sie müssten einander kennen. Auch wenn sich die beiden noch nie begegnet sind: Diese Doro tut sehr vertraut, vertraut mit Kingas Lebensgeschichte, der ihrer Großmutter, um genau zu sein.

Kinga war auf eine Vergangenheitsform von Elternschaft zu sprechen gekommen, darauf, dass ihre Mutter in einem Lebensborn-Heim der Nationalsozialisten zur Welt gekommen und ein paar Jahre nach der Geburt zur Adoption dorthin zurückgebracht worden war, vermutlich, weil die leibliche Mutter verstorben sei. „Aber nein, sie lebte noch“, muss sich Kinga von der Unbekannten verbessern lassen.

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