Wissenschaft

#Ein Atlas des menschlichen Gehirns

Im Rahmen eines internationales Großforschungsprojekts haben Forschende das menschliche Gehirn auf Zellebene kartiert. Dabei haben sie mehr als 3000 verschiedene Zelltypen charakterisiert und Merkmale aufgedeckt, die uns von anderen Primaten unterscheiden. Zudem zeigen die Ergebnisse große individuelle Unterschiede zwischen den Gehirnen verschiedener Menschen und geben Einblicke in die molekularen Grundlagen neurologischer Erkrankungen. Aus Sicht der Verantwortlichen markieren die nun veröffentlichen Studien den Startpunkt einer neuen Ära der Hirnforschung.

Unser Gehirn besteht aus Billionen von Nervenzellen, die in einem komplexen Netzwerk miteinander verschaltet sind. Seit 2017 arbeiten Forschende weltweit unter Leitung der amerikanischen National Institutes of Health im BRAIN Initiative Cell Census Network (BICCN) daran, die Architektur dieses Netzwerks genauer zu verstehen. Dabei geht es unter anderem darum, Einblicke in die normale Funktionsweise sowie krankhafte Veränderungen zu gewinnen, Vergleiche zu anderen Spezies zu ziehen und die Entwicklung des Gehirns vom Embryo bis zum Erwachsenen nachzuvollziehen.

Neue Einblicke dank innovativer Techniken

In 21 Studien, die in den Fachzeitschriften Science, Science Advances und Science Translational Medicine veröffentlicht wurden, präsentiert das Forschungskonsortium nun Ergebnisse des Projekts – darunter einen detaillierten Atlas der Zellen des menschlichen Gehirns. Um die Zellen und ihre genetische Ausstattung zu charakterisieren, nutzten die beteiligten Forschungsteams vielfältige Methoden, von denen einige nun zum ersten Mal für menschliche Zellen angewendet wurden. „Traditionell wurden die Techniken vor allem in präklinischen Studien mit Nagetieren und anderen experimentellen Modellen eingesetzt“, erklärt der Science-Redakteur Mattia Maroso. „Die hier vorgestellten Arbeiten zeigen, wie die Forschung am Menschen die präklinische Arbeit nun einholen könnte.“

Als Grundlage dienten die Gehirne von drei erwachsenen Männern, die ihr Gehirn nach ihrem Tod der Forschung zur Verfügung gestellt hatten. Zusätzlich nutzten die Forschenden Gewebespenden lebender Menschen, denen bei Hirnoperationen – etwa wegen schwerer Epilepsie oder Tumoren – Hirngewebe entnommen wurde. Für mehr als eine halbe Million Gehirnzellen analysierten sie das sogenannte Methylierungsmuster der DNA, das durch Anlagerungen am Erbgut darüber bestimmt, welche Teile des Genoms in der jeweiligen Zelle zu Proteinen umgesetzt wird. Zusätzlich erfassten sie die dreidimensionale Struktur der DNA sowie die Proteine und die Gesamtheit der abgelesenen und in RNA kopierten Proteinbaupläne in den Zellen.

In Gesundheit und Krankheit

Mehr als 3000 verschiedene Typen von Gehirnzellen identifizierten die Forschenden. Rund 80 Prozent davon sind Nervenzellen, bei den übrigen handelt es sich um unterschiedliche Arten von Gliazellen, die die Nervenzellen stützen, versorgen und elektrisch isolieren. Mit Hilfe von Deep-Learning-Modellen deckte ein Forschungsteam um Yang Li von der University of California in San Diego Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit bestimmter Hirnzelltypen und neuropsychiatrischen Störungen auf, darunter Schizophrenie, bipolare Störung, Alzheimer und schwere Depressionen. Diese Erkenntnisse könnten zukünftig dabei helfen, das individuelle Risiko für diese Erkrankungen besser einschätzen zu können und womöglich frühzeitig Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung zu ergreifen.

Eine weitere Studie unter der Leitung von Nelson Johansen vom Allen Institute for Brain Science in Seattle ergab, dass die grundlegende zelluläre Architektur des Gehirns zwar bei verschiedenen Menschen gleich ist, es allerdings große individuelle Unterschiede gibt, in welchem Maße welche Zellen vertreten sind und wie aktiv sie sind. Die Genexpression wird demnach unter anderem durch Alter, Geschlecht, Ethnie und Gesundheitsstatus einer Person beeinflusst, wobei viele weitere potenzielle Einflussfaktoren noch unklar sind. „Es gibt keinen einzelnen prototypischen Menschen“, schreiben Alyssa Weninger von der University of North Carolina in Chapel Hill und Paola Arlotta von der Harvard University in Cambridge in einem begleitenden Kommentar, der ebenfalls in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde. „Es gibt ein Spektrum von Unterschieden in der genetischen Variation und der Reaktion auf die Umwelt sowohl bei gesunden Personen als auch bei Krankheiten.“

Einzigartig menschlich

Trotz der individuellen Unterschiede in der Genexpression gibt es einige grundlegende Merkmale, die uns als Menschen einzigartig machen. Das zeigt eine Studie unter der Leitung von Nikolas Jorstad vom Allen Institute for Brain Science in Seattle anhand von Vergleichen mit den Gehirnen nicht-menschlicher Primaten wie Schimpansen und Gorillas. Obwohl Schimpansen evolutionär näher mit uns Menschen als mit Gorillas verwandt sind, ähneln ihre Neuronen eher denen von Gorillas. Zwar stimmen die grundlegenden Zelltypen überein, in den menschlichen Neuronen sind jedoch andere Gene aktiv, die unter anderem für die Vernetzung der Nervenzellen wichtig sind. „Das ist eine plausible Erklärung, wie sich die kognitiven Fähigkeiten im Laufe der Evolution gesteigert haben, nämlich indem Schaltkreise aus denselben Zelltypen neu verdrahtet wurden oder sich die Leistung des Systems auf leicht unterschiedliche Weise verändert hat“, sagt Jorstads Kollege Ed Lein.

Die Daten des Hirnatlasses stehen Wissenschaftlern in aller Welt nun frei zur Verfügung. „Die vom BICCN gesammelten Daten werden es Forschenden nun ermöglichen, grundlegende wissenschaftliche Fragen über das menschliche Gehirn anzugehen“, schreibt Maroso. „Die Ära der zellulären Forschung am menschlichen Gehirn steht vor der Tür.“

Quellen:
Mattia Maroso (American Association for the Advancement of Science), Science, doi: 10.1126/science.adl0913; Yang Li (University of California, San Diego) et al., Science, doi: 10.1126/science.adf7044; Nikolas Jorstad (Allen Institute for Brain Science, Seattle) et al., Science, doi: 10.1126/science.ade9516

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