#Ein bisschen Selbstkritik
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„Ein bisschen Selbstkritik“
Als Ursula von der Leyen am Mittwochmorgen, kurz vor neun, ins Europäische Parlament marschierte, war das kein Gang in die Höhle des Löwen. Schon rein äußerlich nicht: Im Brüsseler Plenarsaal saßen weniger als fünfzig der gut 700 Abgeordneten. Auch das eine Folge der Pandemie, aus vielen Staaten kommt man nicht mehr einfach so nach Brüssel oder muss sich anschließend in Quarantäne begeben. Allerorten stocken die Impfungen, die EU hängt weit hinter dem Vereinigten Königreich, den Vereinigten Staaten und Israel zurück. Das wurde in der vier Stunden langen Debatte zwar vielfach erwähnt, aber zu einer Generalabrechnung mit der Kommissionspräsidentin kam es nicht. Stattdessen war viel von „europäischer Solidarität“ die Rede.
Thomas Gutschker
Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.
Von der Leyen schlug einen nüchternen Ton an. Wie zuvor in einer Tour durch die Fraktionen, in Interviews und einem Gastbeitrag gestand sie allgemein Fehler ein. „Wir waren spät dran bei der Zulassung. Wir waren zu optimistisch bei der Massenproduktion. Und vielleicht waren wir uns auch zu sicher, dass das Bestellte tatsächlich pünktlich geliefert wird.“ Aber schon das „Wir“ zeigte an, dass sie nicht alleine die Verantwortung übernehmen will. Und in den weiteren Ausführungen relativierte sie die Selbstkritik gleich wieder.
Die Zulassung von Impfstoffen dauere in der EU eben drei bis vier Wochen länger, sagte von der Leyen, weil man „keine Abkürzung bei Sicherheit und Wirksamkeit“ nehme. Für die Probleme der Massenproduktion schob sie der Industrie die Verantwortung zu: Die Wissenschaft habe die Industrie „überholt“. Dass die EU selbst viel weniger Geld eingesetzt hatte als die schnelleren Staaten, überspielte sie mit der Bemerkung, man habe „Milliarden von Euro“ investiert. Es waren 2,7 Milliarden. Dem Parlament versprach sie, eine Kontaktgruppe einzurichten und für mehr Transparenz zu sorgen, gerade bei den Verträgen.
Die Vorsitzenden der proeuropäischen Fraktionen stellten unisono heraus, dass die gemeinsame Beschaffung der Impfstoffe richtig gewesen sei und richtig bleibe. Es dürfe nicht Europäer erster und zweitre Klasse geben, sagte Manfred Weber von der EVP. Der CSU-Mann drohte dagegen London mit einem Exportverbot: „Wenn Großbritannien keinen Impfstoff nach Europa liefert, warum sollten wir dann den Biontech-Impfstoff nach Großbritannien liefern?“.
Iratxe Garcia Perez von den Sozialdemokraten warnte davor, jetzt „Katastrophen-Botschaften“ auszusenden und den Parteienstreit ins Zentrum zu stellen. Vielleicht ein Wink an die deutschen Genossen, von denen sich nur einer – ganz zahm – an der Debatte beteiligte? Dacian Ciolos von den Liberalen warb für eine „Gesundheitsunion“, dies dürfe aber kein „Blankoscheck“ für die Kommission sein. Kritik im Detail ersparte er der Kommissionspräsidentin jedoch. Für Ska Keller von den Grünen war vor allem wichtig, dass die EU den Impfstoff global verteile.
EVP und Liberale wollen die Pharma-Industrie stärken
Unterschiede gab es nur, was den Weg aus der Krise angeht. EVP und Liberale wollen die Pharma-Industrie stärken, die Christlichen Demokraten mit zehn Milliarden Euro aus EU-Töpfen. Dagegen machen sich Grüne, Linke und einige Sozialdemokraten für Zwangslizenzen stark. Die EU soll demnach bei der WTO eine Ausnahme vom Patentschutz geltend machen, damit mehr Hersteller in die Produktion einsteigen können.
Um Zollkontrollen auf der irischen Insel, mit denen die Kommission zeitweilig gedroht hatte, ging es nur am Rande. Da seien „Fehler im Prozess“ gemacht worden, gestand von der Leyen ein und bedauerte dies „zutiefst“. Doch habe man diese schnell korrigiert und werde alles tun, um den Frieden in Nordirland zu schützen. Die Vorsitzenden der vier Fraktionen, die die Kommission tragen, übergingen das Thema. Erst in der weiteren Debatte spießten einzelne Abgeordnete den Fall auf. Von einem „Fiasko“ und einer „Katastrophe“ war die Rede. Nicola Beer von der FDP bescheinigte von der Leyen „massive Vertrauensverluste“: „Sie müssen jetzt die Scherben aufsammeln.“
„Treten Sie endlich zurück, es ist überfällig!“
Nur einmal wurde es richtig laut in dieser gedämpften Debatte: als Jörg Meuthen von der AfD ans Rednerpult trat. Was von der Leyen als Impfstrategie verkaufe, sei eine „Verhöhnung der Bürger“ und Ausdruck „maßlosen Unvermögens“. Die Brüsseler Bürokraten hätten zu spät und zu wenig Impfstoff bestellt. Das „offenbar durchaus hochwirksame Vakzin aus Russland“ sei aus „politischer Aversion“ ausgeschlossen worden. Das eilig beschlossene „Exportverbot“ – tatsächlich ist es ein Kontrollmechanismus – solle das Versagen nur kaschieren. „Treten Sie endlich zurück, es ist überfällig!“, schloss Meuthen seinen Auftritt und sah in die erste Reihe.
Doch der Platz der Kommissionspräsidentin war leer. Sie hatte den Plenarsaal unmittelbar vor seinem Auftritt verlassen. Eine Stunde später kehrte sie zurück.
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